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André Alexis
"Kindheit"
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Claassen Verlag München 2000
317 Seiten, 21,00 Euro

Sicherlich könnte sich Thomas MacMillan eine glücklichere Kindheit vorstellen, doch ist das Leben bei seiner schrulligen Großmutter in der kanadischen Provinzstadt Petrolia auszuhalten. Nachdem seine Eltern sich getrennt hatten, ließ ihn seine Mutter zurück und versprach ihn zu sich zu holen, sowie sie eine Arbeit gefunden hat. Monate vergingen und über Monate vergingen Jahre. Thomas' Mutter meldete sich nur sporadisch, und wenn, dann nur um sich kurz nach dem Befinden ihres Sohnes zu erkundigen und um die Großmutter weiter zu vertrösten.
Thomas hätte sicherlich so weiter leben können, manchmal an seine Mutter gedacht und darüber gegrübelt, wer sein Vater wäre. Doch eines Tages fand er die Großmutter tot im Wohnzimmer auf. Die Zeit seiner glücklichen, unbeschwerten Kindheit schien mit einem Mal zu Ende.
Nur wenige Tage vergingen und Thomas' Mutter kam mit einem ihm unbekannten jungen Mann, um ihn abzuholen. Die Reise in einem klapprigen Auto quer durch Kanada auf der Suche nach einem neuen Zuhause, entwickelte sich für Thomas und seine Mutter zu einem Wechselbad der Gefühle. Rational war ihm klar, dass diese Person, mit der er das Auto teilte seine Mutter war, doch verbarg er Emotionen hinter einer Wand aus Skepsis und Neugier. Er konnte es nach Jahren des vergeblichen Wartens nicht recht glauben, plötzlich mit seiner Mutter in einem schrottreifen Auto durch die kanadische Provinz zu fahren, ohne Ziel und zusammen mit einem fremden Mann, der, wie sich später herausstellte, einer der unzähligen Geliebten der Mutter war.
Ein wenig anders hatte er sich das erste Zusammentreff en in seinen Träumen schon vorgestellt.
Ziel ihrer turbulenten Fahrt wurde Ottawa. Hier fanden sie Unterschlupf bei einem Freund der Mutter namens Henry Wing. Übrigens ein äußerst kauziger Typ, dessen hauptsächliche Beschäftigung in der Erarbeitung eines Lexikons bestand, in welchem alle Dinge verzeichnet wurden, für die es noch keinen Namen gab.
Henry wurde für Thomas im Laufe der Zeit zu einem Freund, der ihm die Welt der Bücher und die Magie der Worte näher brachte. Was zwischen Henry und seiner Mutter ablief, versuchte er zwar zu durchschauen, doch irgendwie war die Welt der Erwachsenen nicht zu verstehen. War es nun Liebe, die beide verband oder doch nur Freundschaft. Und wenn es Liebe war, ist Henry dann sein Vater? Andrè Alexis läßt in "Kindheit", einem bei seinem Erscheinen von der Kritik viel gelobten Roman, sein alter ego die wundersame Geschichte einer Suche nach den eigenen Wurzeln in Rückblicken erzählen, unterbrochen von Reflektionen der Gegenwart; adressiert an eine für den Leser verborgen bleibende Frau.
Alexis' Stärke liegt in seiner kristallklaren Sprache, die mit nahezu magischer Anziehungskraft die Geschichte vor dem geistigen Auge des Leser, einem Bilderbogen gleich, entfächert. Unaufdringlich und doch fesselnd beschreibt Alexis die Suche Thomas' nach seinem Vater, den er anfangs in Henry gefunden glaubt. 
Doch erzählt "Kindheit" diese Geschichte des Thomas MacMillan nicht linear. In Rückblicken und mit Hilfe verschiedener Erzähltechniken strukturiert Alexis seinen Text dergestalt, dass zum Beispiel Fußnoten bestimmte Bemerkungen über Personen oder Geschehnisse, die für die Handlung von Bedeutung sind, eingehender erläutern.
So zusammengesetzt, bilden die zahlreichen Erinnerungsbruchstücke das faszinierend erzählte Bild einer von der Suche nach den eigenen Wurzeln bestimmten Kindheit. ©Torsten Seewitz, 15.01.2001

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