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Jakob Arjouni
"Hausaufgaben"
Diogenes Verlag Zürich 2004
189 S.; 17,90 Euro

„Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen“ hat William Faulkner einmal geschrieben. Wie wahr diese Sentenz ist, muß der Protagonist aus Jakob Arjounis neuem Roman „Hausaufgaben“ am eigenen Leib erfahren.
Joachim Linde, Deutschlehrer am Reichenheimer Schiller-Gymnasium, hatte sich gedanklich bereits auf das bevorstehende Wochenende eingestellt. Er wollte in die Mark Brandenburg fahren, um auf den Spuren Fontanes zu wandern. Die Fahrkarte nach Berlin war bereits gekauft. Doch noch hatte er Unterricht im Oberstufenkurs „Deutsche Nachkriegsschriftsteller und ihre Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich“. Routiniert formulierte er die Frage nach dem Einfluß des Dritten Reiches auf das Leben der Schüler. Eigentlich dachte er, die Diskussion schnell abschließen zu können, aber Heranwachsende sind eben schwer kalkulierbar. So lief das von ihm angeregte Streitgespräch bald aus der Bahn, als Schüler begannen, sich die Verstrickung ihrer Großeltern zur Zeit des Nationalsozialismus vorzuwerfen. Eine unbedachte Äußerung Lindes brachte das Fass zu überlaufen und setzte eine Lawine scheinbar unglücklicher Umstände in Gang.
Die Betonung liegt mit Bedacht auf „scheinbar“, denn Arjouni lässt seinen Helden die Dinge aus seiner Sicht erzählen. Nur selten kommen Personen zu Wort, die Lindes Haltung reflektieren. So erhält der Leser Einblick in die Gedanken- und Erlebenswelt eines Menschen, um dessen Unrechtsbewusstsein es nicht all zu gut bestellt ist. Dieses Vorgehen des Autors ist ungemein tückisch, denn man muß als Lesender ständig auf der Hut sein, nicht von der Sichtweise Lindes vereinnahmt zu werden.
Nur stückweise erfährt man, warum die Tochter die Familie verlassen hat, seine Frau in die Psychiatrie eingeliefert wurde und weshalb sein Sohn einen schweren Unfall hatte. Vor Linde offenbart sich ein Abgrund, doch dieser verschließt die Augen vor der Realität und flüchtet sich in eine Scheinwelt. 
Das subtile Moment in Arjounis Roman besteht vor allem darin, den Leser konsequent mit dem Protagonisten allein zu lassen, ohne dass der Autor als moralische Instanz eingreift. So kommt das Unaussprechbare auf leisen Sohlen. Man spürt als Leser Lindes Unrecht, möchte eingreifen, um ihn zur Vernunft zu bringen und bleibt doch nur Zeuge eines heillosen Selbstbetrugs. Torsten Seewitz, 04.11.04

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