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Volker Braun
"Das Wirklichgewollte"

Suhrkamp Frankfurt am Main 2000
55 Seiten, 14,80 Euro
Was ist es, das "Wirklichgewollte" des menschlichen Daseins, welchem der diesjährige Büchner-Preisträger Volker Braun in seinen Prosaminiaturen nachspürt? Braun, ein Meister des Lyrischen und formvollendeter, lakonischer Prosa schildert im vorliegenden Band drei Schicksale von Menschen, die auf individuelle Weise mit dem Schicksal verbunden sind und die Grenzen der menschlichen Natur erfahren müssen. Anfangs treten die alternden Protagonisten der Erzählungen ihren künftigen Peinigern arglos und naiv gegenüber, gefangen in ihrer eigenen und entrückt von der realen Welt. Die Zeit scheint für sie stehen geblieben zu sein, die Kluft zur Jugend unüberwindbar.
In der ersten Erzählung Braun die Geschichte des emeritierten Professors Badini, der zusammen mit seiner Frau auf einem toskanischen Landgut mit ausgedehnten Olivenhainen seinen Ruhestand genießt. Das Idyll ist perfekt, bis eines Tages ein junges Pärchen, Luisa und Gjergj, dreist in ihr Haus eindringt und für sich die Gastrolle beansprucht. Sie werden bewirtet und umsorgt, das kinderlose Ehepaar Badini fühlte sich glücklich ob ihres unerwarteten "Zuwachses". Doch tauchen bald Zweifel auf, ob die Besucher Flüchtlinge sind, die man melden oder fortschicken sollte?
Das empfundene Glück währt nur kurze Zeit und weicht der Verzweiflung um das Begreifen der eigenen Endlichkeit, der Vergänglichkeit des menschlichen Daseins. „Wir können die Wahrheit nicht aushalten. Welche Wahrheit? Daß es zuende geht. Daß wir gewöhnlich sind...". Das Aushalten dieser Erkenntnis und darüber nicht verrückt zu werden, ist für Badinis Frau das Eigentliche des Lebens. Hasserfüllt und verzweifelt stürzt sich Badini auf seine Frau, will das soeben Vernommene nicht wahrhaben.
Unwirsch tritt er am nächsten Morgen dem wiederaufgetauchten Gjergj gegenüber, der sich bedroht fühlte und im Affekt Badini mit einem Messer niedersticht. Ein dramatisches Ende, welches den Leser betroffen und sprachlos macht.
Volker Braun führt seine Protagonisten in dieser und in den beiden anderen Erzählungen an die Grenzen ihres Verstandes. Voller Verzweiflung müssen sich die Figuren ihre Hilflosigkeit gegenüber der jungen Generation eingestehen. Besonders deutlich wird dies an der Figur des neunzigjährigen Borges, der mit idealistischer Hingabe versucht, einem neunjährigen Straßenjungen ein Zuhause zu geben. Doch dieser wehrt sich gegen die Vereinnahmung, flieht aus Borges' Wohnung, um kurze Zeit später mit einer wilden Meute von Straßenkindern zurückzukehren.
Desillusioniert blicken Brauns Helden in die Zukunft. Die Vergangenheit liegt im Nebel des Vergessens.
Was kommt nach all den Schrecken des Jahrhunderts und was bleibt vom Einzelnen in der Geschichte bestehen? Fragen, die eine Antwort verlangen, doch unbeantwortet bleiben. ©Torsten Seewitz, 06.11.2000

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