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Als
ihre Großmutter 1943 unter ungeklärten Umständen in
einer psychiatrischen Klinik in Hadamar unter
menschenunwürdigen Bedingungen starb, hatte sich ihr
Ehemann bereits von ihr getrennt, nachdem er jahrelang
vergeblich um die Entlassung seiner Frau gekämpft
hatte. In der Familie blieb ihr Schicksal über
Jahrzehnte verschwiegen, bis ihre Enkelin im Euthansie -
Dokumentationzentrum der Klinik ihr Foto entdeckt. Ein
kleines Bild, auf welchem verschwommen die Konturen
ihrer Großmutter zu erkennen sind. Es hat den Anschein,
als wolle die Geschichte ihre Opfer auch im Nachgang
vergessen machen.
Doch die Erzählerin aus Melitta Brezniks kurzem
Prosawerk "Das Umstellformat" begibt sich
zusammen mit ihrer Mutter auf eine Spurensuche von
Klinik zu Klinik. Immer tiefer tauchen die beiden in
eine Vergangenheit ein, die auch zu einem gewissen Teil
die ihre ist.
Was war damals geschehen? Fakt scheint nur zu sein, dass
die Großmutter an Schizophrenie erkrankte, sich von
einem "Umstellformat" verfolgt sah. Nahezu
hellseherisch könnte man diese Gabe aus heutiger Sicht
nennen, betrachtet man den Begriff im historischen
Kontext. Wie viele haben sich verstellt, umgestellt,
verbogen, mit der Macht der Nazis sympathisiert?
Bewegend ist der Briefwechsel zwischen dem Ehemann der
Großmutter und den jeweiligen Klinikleitungen zu lesen.
den Melitta Breznik neben Auszügen aus den Krankenakten
zitiert. Jede Bitte des Großvaters wurde abgelehnt,
seine Frau nach Hause zu entlassen. Mal war es deren
angegriffene Gesundheit, dann wieder Phasen akuter
Wahnvorstellungen einhergehend mit aggressivem
Verhalten, die eine Entlassung unmöglich machten. Jede
noch so hilflos wirkende Drohung des Ehemannes wurde vom
Klinikpersonal mit der Notwendigkeit einer sicheren
Verwahrung begründet.
Neben der fast detektivischen Suche nach Lebensspuren
der Großmutter, erinnert sich die Erzählerin an Bilder
und Episoden aus ihrer Zeit in Norwegen. Dort lebte sie
bei Gasteltern, die sie in ihrer Familie aufnahmen wie
eine eigene Tochter. Doch etwas war merkwürdig im
Verhalten der Gasteltern und hing unausgesprochen als
Damoklesschwert in der Luft. Bis den Vater Erinnerungen
aus der Zeit der deutschen Besatzung während des
Krieges einholen. Plötzlich, Jahrzehnte später, stellt
sich die Frage nach der Schuld, sich nicht genügend
gewehrt zu haben, sondern stattdessen Teil eines
verachtenswerten Regimes geworden zu sein.
Es ist beeindruckend, wie Melitta Breznik überaus
gekonnt die verschiedenen Erinnerungsebenen miteinander
verwoben hat und somit ein Kapitel deutscher Geschichte
mit Hilfe der Literatur thematisiert, welches gemeinhin
nur noch als Gegenstand historischer Forschung dient.
Ein mutiges und notwendiges Buch! © Torsten Seewitz,
3.12.2002 |