Mit
"Verrückt nach Kafka" wird dem deutschsprachigen
Lesepublikum erstmals ein Buch des amerikanischen Essayisten
Anatole Broyard präsentiert und es sei vorweg bemerkt, dieses
Stück Literatur ist eine Entdeckung. Glänzend geschrieben
und äußerst informativ entfaltet Broyard den Kosmos seiner
Zeit in Greenwich Village, dem für Intellektuelle
angesagtesten Viertel des New Yorks der Nachkriegszeit. Es
gibt wohl keine kulturelle Größe, die nicht, und wenn auch
nur für kurze Zeit, ihren Wohnsitz dort hatte.
Kurz nach Ende des Krieges träumt sich Broyard, angewidert
von seinem Einsatz als Soldat in Yokohama, in die Welt der
Literatur. Er erinnert ganze Passagen poetischer Werke und
erliegt der romantischen Vorstellung, ein Antiquariat in
seiner Heimatstadt zu eröffnen. Wieder zuhause,
entschließt er sich, bei seinen Eltern auszuziehen, um sich
eine eigene Wohnung zu suchen. Doch finanzielle Probleme
zwingen ihn, das Angebot der jungen Malerin Sheri
Donatti, ein Protegé von Anaïs Nin, anzunehmen, in eine
ihrer Wohnungen einzuziehen. Ein Paar, wie es ungleicher nicht
seine könnte, eine Liebe zwischen Ekstase und Verzweiflung.
Interessant war hier zu lesen, wie sich eines Tages der
Schriftsteller William Gaddis auf nahezu peinliche Weise vor
Donatti produzierte, um sie von ihrer Liaison mit Broyard
abzubringen. Solche und ähnliche Details sind übrigens des
öfteren zu lesen, und man mag darüber streiten, ob diese
Indiskretionen dem Buch eher zum Vor- oder zum Nachteil
gereichen. Auf jeden Fall lassen sie ein Stück Lebensgefühl
der damaligen Zeit erahnen, diese unbändige Hunger nach Liebe
und Freiheit.
Und genau zu diesem Lebensgefühl paarte sich der Hunger nach
Literatur, nach Bildung. "Alle waren verrückt nach
Kafka, die abstrakten Expressionisten und der Revisionismus in
der Psychoanalyse war der letzte Schrei.", schreibt
Broyard. So war es sicher diese Euphorie, die seinen Traum vom
eigenen Buchladen wahr werden ließ. Broyard jedoch war kein
guter Verkäufer. Viel lieber sah er es, wenn ein Kunde zwar
ein Buch ausgiebig betrachtete, doch dann wieder ins Regal
zurückstellte. Zu innig war seine Beziehung, die er zu den
einzelnen Bücher aufgebaut hatte. Ein Aspekt, den sicherlich
nur jemand versteht, der ein Buch als Gesamtkunstwerk begreift
und nicht allein als gebundene Ansammlung bedruckter Seiten.
Neben dieser unbändigen Liebe zur Literatur, die an vielen
Stellen des Textes spürbar wird, versucht Anatole Broyard in
seinen Memoiren ein Stück bislang verschwiegener Biographie
aufzuarbeiten. Denn seit Jahren tauchte immer mal wieder das
Gerücht auf, Broyard würde seine wahre Herkunft, die als
Kind farbiger Eltern, verschweigen. Ein Geheimnis, welches
seine Kinder zum Beispiel erst erfuhren, als er bereits im
Sterben lag. Für viele, vor allem amerikanische
Intellektuelle eine Offenbarung, obgleich Broyard dieses
Detail seiner Biographie an keiner Stelle des Buches explizit
erwähnte.
Anatole Broyard wollte Anerkennung als Schriftsteller und
Essayist und nicht wegen seiner Hautfarbe, doch erforderte
dieses Verbergen der eigenen Identität viel Kraft. Energie,
die ihm letztendlich für den kreativen Prozess des Schreibens
fehlte. So brachte er es zwar zu Ruhm als Journalist, eine
Karriere als erfolgreicher Schriftsteller blieb ihm jedoch aus
diesem Grund versagt. Bedauerlich, beweist doch
"Verrückt nach Kafka" und seine frühe Erzählung
"What the Cystoscope Said", welch brillanter Stilist
er war, dessen Stärke vor allem im ironischen Erzählen lag.
©Torsten Seewitz, 21.08.2001
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