Als
Florians Freund Alfred an Krebs stirbt, konnte er
siebeneinhalb Wochen die gemeinsam geführte Boutique
nicht mehr betreten. So groß war sein Schmerz und die
Trauer über den Verlust des Geliebten. Noch am Abend von
Alfreds Tod hatte er den Schaufensterpuppen schwarze
Kleider angezogen und an die Tür des Geschäftes ein
Schild "Wegen Todesfall geschlossen"
aufgehängt.
Zum Gedenken an
Alfred plant Florian nunmehr eine Modenschau mit allen
erfolgreichen Kleidern, die sein Freund entworfen hatte.
Vor allem das blaue Kleid, aus Organza genäht, musste er
wiederfinden. Zum Glück besaß er noch den
Kreditkartenbeleg der Kundin und konnte so ihre
Telefonnummer und Anschrift ausfindig machen. "Das
Kleid wird ihr Leben verändern!", hatte Alfred damals
begeistert ausgerufen. Als Florian vor
der Tür Babette
Schröders steht, ahnt er noch nicht, wie sehr Alfred
recht behalten sollte.
Doris
Dörrie gelingt es in ihrem neuen Buch auf sehr
nahegehende Weise, das Leben zweier Menschen zusammen zu
führen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Einzig
die Trauer um einen geliebten Menschen eint ihre
Lebenslinien. Babette verlor ihren Mann Fritz auf Bali bei
einem verhängnisvollen Verkehrsunfall, kurz nachdem sie
auf der Insel angekommen waren. Nun musste sie, noch unter
Schock stehend, zur Kenntnis nehmen, dass ihr junges
Eheglück bereits am Ende angelangt war. Schweren Herzens
unterwirft sie sich der fremden Kultur und lässt ihren
Mann nach balinesischem Trauerzeremoniell bestatten.
Zurück in Deutschland zieht sie sich in ihre Wohnung
zurück, nahezu jeden Kontakt mit der Außenwelt meidend.
Einzig die Spaziergänge im nahegelegenen Park schaffen
ein wenig Abwechslung. Und eines Tages, begann sie sich
auch wieder für Männer zu interessieren. Jeden Morgen
trifft sie einen attraktiven Mann, der durch den Park
joggt.
Vorsichtig nähern sich beide einander an, verabreden
sich, schlafen dann auch bald miteinander. Babette könnte
aufatmen, endlich ihr Tief überwunden zu haben, doch
stellt sich das Zusammenleben mit Thomas, einem
Anästhesisten, als sehr schwierig heraus. Und zu ihrem
Entsetzen muss er seiner Potenz mit Viagra auf die
Sprünge helfen.
Doch dann tritt Florian in ihr Leben, der schwule
Verkäufer aus der Boutique, in der sie das blaue Kleid
gekauft hat und fortan beginnt sie wieder
aufzuleben.
Es ist das Schöne an den Büchern wie auch den Filmen
Doris Dörries, dass sie ihre Geschichten sehr
melancholisch erzählt. Sie versteht es auf beeindruckende
Art und Weise uns zu berühren, den wunden Punkt in
unseren Ich zu treffen, Verborgenes unserer
Seelenlandschaft offen zu legen, unsere manchmal paradoxen
Lebenswege zum Gegenstand ihres Erzählens zu
machen.
So auch in ihrem Roman "Das blaue Kleid", in dem
melancholische und ironische Töne zu einer wundervollen
Geschichte verschmelzen. Wie in ihren ungemein
poetischen Filmen, hinterlässt dieses Buch nach dem Lesen
ein Gefühl von Glück und Zuversicht. Ein schönes Gefühl, wie ich finde. ©Torsten Seewitz,
13.08.2002
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