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Doris Dörrie 
"Das blaue Kleid"
Diogenes Zürich 2002
177 S., 16,90 Euro

Als Florians Freund Alfred an Krebs stirbt, konnte er siebeneinhalb Wochen die gemeinsam geführte Boutique nicht mehr betreten. So groß war sein Schmerz und die Trauer über den Verlust des Geliebten. Noch am Abend von Alfreds Tod hatte er den Schaufensterpuppen schwarze Kleider angezogen und an die Tür des Geschäftes ein Schild "Wegen Todesfall geschlossen" aufgehängt.
Zum Gedenken an Alfred plant Florian nunmehr eine Modenschau mit allen erfolgreichen Kleidern, die sein Freund entworfen hatte. Vor allem das blaue Kleid, aus Organza genäht, musste er wiederfinden. Zum Glück besaß er noch den Kreditkartenbeleg der Kundin und konnte so ihre Telefonnummer und Anschrift ausfindig machen. "Das Kleid wird ihr Leben verändern!", hatte Alfred damals begeistert ausgerufen. Als Florian vor
der Tür Babette Schröders steht, ahnt er noch nicht, wie sehr Alfred recht behalten sollte. 
Doris Dörrie gelingt es in ihrem neuen Buch auf sehr nahegehende Weise, das Leben zweier Menschen zusammen zu führen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Einzig die Trauer um einen geliebten Menschen eint ihre Lebenslinien. Babette verlor ihren Mann Fritz auf Bali bei einem verhängnisvollen Verkehrsunfall, kurz nachdem sie auf der Insel angekommen waren. Nun musste sie, noch unter Schock stehend, zur Kenntnis nehmen, dass ihr junges Eheglück bereits am Ende angelangt war. Schweren Herzens unterwirft sie sich der fremden Kultur und lässt ihren Mann nach balinesischem Trauerzeremoniell bestatten. Zurück in Deutschland zieht sie sich in ihre Wohnung zurück, nahezu jeden Kontakt mit der Außenwelt meidend. Einzig die Spaziergänge im nahegelegenen Park schaffen ein wenig Abwechslung. Und eines Tages, begann sie sich auch wieder für Männer zu interessieren. Jeden Morgen trifft sie einen attraktiven Mann, der durch den Park joggt.
Vorsichtig nähern sich beide einander an, verabreden sich, schlafen dann auch bald miteinander. Babette könnte aufatmen, endlich ihr Tief überwunden zu haben, doch  stellt sich das Zusammenleben mit Thomas, einem Anästhesisten, als sehr schwierig heraus. Und zu ihrem Entsetzen muss er seiner Potenz mit Viagra auf die Sprünge helfen. 
Doch dann tritt Florian in ihr Leben, der schwule Verkäufer aus der Boutique, in der sie das blaue Kleid gekauft hat und fortan beginnt sie wieder aufzuleben. 
Es ist das Schöne an den Büchern wie auch den Filmen Doris Dörries, dass sie ihre Geschichten sehr melancholisch erzählt. Sie versteht es auf beeindruckende Art und Weise uns zu berühren, den wunden Punkt in unseren Ich zu treffen, Verborgenes unserer Seelenlandschaft offen zu legen, unsere manchmal paradoxen Lebenswege zum Gegenstand ihres Erzählens zu machen. 
So auch in ihrem Roman "Das blaue Kleid", in dem melancholische und ironische Töne zu einer wundervollen Geschichte verschmelzen. Wie in ihren ungemein poetischen Filmen, hinterlässt dieses Buch nach dem Lesen ein Gefühl von Glück und Zuversicht. Ein schönes Gefühl, wie ich finde. ©Torsten Seewitz, 13.08.2002

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