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Mark Dunn
"Nollops Vermächtnis"
Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrends
marebuchverlag Hamburg 2004
240 S.; 19,90 Euro

Wissen Sie, was es mit dem kuriosen Satz „Keiner schoß fixer als Jung Sibylle das Kaul von Quappe mit der Zwille“ auf sich hat? Nein?
Dieser Satz ist ein Pangramm, also eine Wortfolge, die alle Buchstaben des Alphabets enthält. Davon haben Sie noch nie gehört? Dann folgen Sie dem brillanten Roman des Amerikaners Mark Dunn in seine phantastische Welt der Insel Nollop. Denn deren Bewohnern ist der Schöpfer des obigen Pangramms, Nevin Nollop, heilig. So heilig, dass sie ihre Insel nach ihm benannten und ihm zu Ehren ein Denkmal errichteten, dessen Sockel ein Kachelfries mit dem ominösen Satz verziert.
Es lässt Erstaunen, mit welcher Hingabe die Inselbevölkerung ihre Sprache huldigt. Aber was soll man anderes machen, als sich an dem zu erfreuen, was einem unmittelbar zur Verfügung steht. Denn sehr abgeschieden leben sie schon, die Nollopier. Man könnte das Inselleben sogar als harmonisch bezeichnen, wenn sich nicht eines Tages, die Kachel mit dem Buchstaben „Z“ aus dem Fries gelöst hätte und zerbrach.
Der Hohe Rat der Inselgemeinde wertete diesen Vorfall als Fingerzeig des verstorbenen Satzschöpfers und verbot fortan, unter Androhung der Todesstrafe, die Benutzung des herabgefallenen Buchstabens. Sämtliche „Z“ mussten aus dem Schrifttum verbannt werden, noch durfte jemand diesen Buchstaben aussprechen.
Zwar irritiert, doch sich den Weisungen des Hohen Rates beugend, tilgen die Bewohner der Insel das „Z“ aus ihrem Sprachschatz.
Als wäre dies nicht surreal genug, treibt Mark Dunn das Spiel mit der Sprache auf die Spitze, denn nach und nach fallen immer mehr Buchstaben aus dem Fries. In Form eines Briefromans erzählt er die Geschichte der Bewohner der Insel Nollop und über den Verlust ihrer Sprache. Der Klappentext des Verlages verweist auf eine Fortführung der Ideenwelt Orwells und Huxleys. Zu Recht, denn der Autor überzeugt auf ganzer Linie. An dieser Stelle sei die Meisterschaft des  Übersetzers Henning Ahrens erwähnt, der die Sprachkunst des Romans glänzend ins Deutsche übertragen hat.
Das Beeindruckende des Buches besteht vor allem in der konsequenten Umsetzung des Buchstabenverlustes im Text, denn in den Briefen der Hauptpersonen Tessie und Ella wird nicht nur vom Verschwinden die Schriftzeichen erzählt, sondern dieser Verlust spiegelt sich auch unmittelbar im Text wieder. So kann der Leser selber sprachlos werdend, diesen unerhörten und eigentlich undenkbaren Vorgang mitverfolgen.
Keine Angst, der Text bleibt bis zum Schluss gut lesbar. Doch hat Mark Dunn seine Geschichte so hoffnungsvoll gestaltet, dass den Bewohnern eine Rettung aus dieser paradoxen Situation in Aussicht steht. Doch sie müssen selbst kreativ werden.
„Nollops Vermächtnis“ zählt unbestritten zu den Höhenpunkten des literarischen Frühjahres. Selten hat es ein Autor so gekonnt verstanden, dem Leser ein Gefühl für Sprache zu vermitteln, dass man erst durch deren Verlust bemerkt, wie reich und schön sie ist.
So betrachtet, eignet sich der Roman hervorragend, vor allem junge Menschen wieder für Sprache zu begeistern und ihnen das Gefühl zu vermitteln, welchen Reichtum diese in sich birgt.
©Torsten Seewitz, 09.08.2004 

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