Wissen
Sie, was es mit dem kuriosen Satz „Keiner schoß fixer
als Jung Sibylle das Kaul von Quappe mit der Zwille“
auf sich hat? Nein?
Dieser Satz ist ein Pangramm, also eine Wortfolge, die
alle Buchstaben des Alphabets enthält.
Davon haben Sie noch nie gehört? Dann folgen Sie dem
brillanten Roman des Amerikaners Mark Dunn in seine
phantastische Welt der Insel Nollop. Denn deren
Bewohnern ist der Schöpfer des obigen Pangramms, Nevin
Nollop, heilig. So heilig, dass sie ihre Insel nach ihm
benannten und ihm zu Ehren ein Denkmal errichteten,
dessen Sockel ein Kachelfries mit dem ominösen Satz
verziert.
Es lässt Erstaunen, mit welcher Hingabe die Inselbevölkerung
ihre Sprache huldigt. Aber was soll man anderes machen,
als sich an dem zu erfreuen, was einem unmittelbar zur
Verfügung steht. Denn sehr abgeschieden leben sie
schon, die Nollopier. Man könnte das Inselleben sogar
als harmonisch bezeichnen, wenn sich nicht eines Tages,
die Kachel mit dem Buchstaben „Z“ aus dem Fries gelöst
hätte und zerbrach.
Der Hohe Rat der Inselgemeinde wertete diesen Vorfall
als Fingerzeig des verstorbenen
Satzschöpfers und verbot fortan, unter Androhung der
Todesstrafe, die Benutzung des herabgefallenen
Buchstabens. Sämtliche „Z“ mussten aus dem
Schrifttum verbannt werden, noch durfte jemand diesen
Buchstaben aussprechen.
Zwar irritiert, doch sich den Weisungen des Hohen Rates
beugend, tilgen die Bewohner der Insel das „Z“ aus
ihrem Sprachschatz.
Als wäre dies nicht surreal genug, treibt Mark Dunn das
Spiel mit der Sprache auf die Spitze, denn nach und nach
fallen immer mehr Buchstaben aus dem Fries. In Form
eines Briefromans erzählt er die Geschichte der
Bewohner der Insel Nollop und über den Verlust ihrer
Sprache. Der Klappentext des Verlages verweist auf eine
Fortführung der Ideenwelt Orwells und Huxleys. Zu
Recht, denn der Autor überzeugt auf ganzer Linie. An
dieser Stelle sei die Meisterschaft des Übersetzers
Henning Ahrens erwähnt, der die Sprachkunst des Romans
glänzend ins Deutsche übertragen hat.
Das Beeindruckende des Buches besteht vor allem in der
konsequenten Umsetzung des Buchstabenverlustes im Text,
denn in den Briefen der Hauptpersonen Tessie und Ella
wird nicht nur vom Verschwinden die Schriftzeichen erzählt,
sondern dieser Verlust spiegelt sich auch unmittelbar im
Text wieder. So kann der Leser selber sprachlos werdend,
diesen unerhörten und eigentlich undenkbaren Vorgang
mitverfolgen.
Keine Angst, der Text bleibt bis zum Schluss gut lesbar.
Doch hat Mark Dunn seine Geschichte so hoffnungsvoll
gestaltet, dass den Bewohnern eine Rettung aus dieser
paradoxen Situation in Aussicht steht. Doch sie müssen
selbst kreativ werden.
„Nollops Vermächtnis“ zählt unbestritten zu den Höhenpunkten
des literarischen Frühjahres. Selten hat es ein Autor
so gekonnt verstanden, dem Leser ein Gefühl für
Sprache zu vermitteln, dass man erst durch deren Verlust
bemerkt, wie reich und schön sie ist.
So betrachtet, eignet sich der Roman hervorragend, vor
allem junge Menschen wieder für Sprache zu begeistern
und ihnen das Gefühl zu vermitteln, welchen Reichtum
diese in sich birgt.
©Torsten Seewitz,
09.08.2004
|