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Anna Gavalda
"Zusammen ist man weniger allein"
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
Carl Hanser Verlag München 2005
551 S.; 24,90 Euro

In einem Interview mit "L'opinion" äußerte Anna Gavalda, dass die Kritik ihr neues Buch nicht verschonen werde. Ihre Vermutung bestätigte sich, denn kurz nach Erscheinen des Romans "Zusammen ist man weniger allein" (OT: "Ensemble, c'est tout") wurden ihre Protagonisten als zu gut und damit als unglaubwürdig bezeichnet. Doch Gavalda wollte nach zwei eher "düsteren Büchern" etwas positives schreiben. So hat sie alle Zutaten für eine eingängige und durchschaubare Handlung, wie gegensätzliche Charaktere und soziale Unterschiede ihrer Figuren, zusammengetan und eine angenehm leichte Lesekost geschaffen.
Es sind schon eigenwillige Personen, die Gavalda aufeinandertreffen lässt. Da ist zum einen Camille, erfolgreiche Kunsthochschulabsolventin, jetzt als Putzfrau tätig und magersüchtig, die eine karge und kalte Dachkammer in einem Mietshaus bewohnt und zum anderen Philibert, der schüchterne Sproß verarmten Adels, geschichtsbesessen und einsam in einer 300 Quadratmeter großen Wohnung im gleichen Haus lebend. Einsam stimmt nicht ganz, denn ein Untermieter teilt sich mit ihm den mehr als reichlichen Wohnraum. Franck heißt er und arbeitet bis zur Selbstaufgabe als Koch in einem Gourmetrestaurant. Irgendwie funktioniert diese Zweier-WG, obwohl beide von ihren Lebensentwürfen her nicht unterschiedlicher sein könnten.
Man ahnt es fast, denn was dieser Männer-WG fehlt, ist eine Frau. Doch trotz dieser Vorahnungen wird das Lesen nicht langweilig, denn Gavalda inszeniert ihr Kammerspiel geschickt. Auf welchem Weg Camille zu Philbert und Frank gelangt, muss jeder selbst lesen. Es sei aber soviel verraten: es bleibt nicht bei dieser einen Frau, denn da ist noch Paulette, die Großmutter Francks, unglücklich in einem Altenheim lebend.
Dass Anna Gavalda erzählen kann, hat sie bereits mit „Ich wünschte mir, dass irgend jemand auf mich wartet“ und „Ich habe sie geliebt“  bewiesen. Doch entgegen der eingangs erwähnten Kritik, verspricht auch ihr aktueller Roman ungetrübten Lesegenuss, vorausgesetzt, man verabschiedet sich vom Schubladendenken.
„Zusammen ist man weniger allein“, übrigens eine dem Romaninhalt entsprechende Titelgebung, ist wie ein Erzählmotto anzusehen. Alles dreht sich um die Angst allein zu sein oder zu bleiben, in einer Welt, die diese Sehnsucht zu ignorieren scheint. Gavalda entwirft einen Mikrokosmos, in dem zwischenmenschliche Kälte keinen Platz findet. Gekonnt umschifft sie dabei die Klippen des Seichten und Belanglosen, und zeichnet ihre Figuren so liebevoll, dass sie einem ohne Weiteres ans Herz wachsen.
Erstaunlich ist, dass der Roman über weite Strecken durch seine Figuren und weniger durch seine Handlung lebt. Gavalda ergötzt sich nicht an epische breiten Beschreibungen, sondern bevorzugt die Dialogform. So entsteht eine ganz eigene, intensive Atmosphäre.
Zugegeben, bei über 500 Seiten gibt es auch schwache Stellen, doch sind diese marginal. Vielmehr bleibt am Ende der Wunsch, dieser Roman möge nicht enden.
Torsten Seewitz, 09.03.05

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