Zur Startseite

Philippe Grimbert
"Ein Geheimnis"
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Suhrkamp Verlag Frankfurt 2006
154 S.; 17,80 Euro

Als kleiner Junge hat sich Philippe immer einen älteren Bruder gewünscht, einen der, ganz im Gegenteil zu seiner schmächtigen Gestalt, kräftig ist, schöner und erfolgreich. Viele Jahre mussten Philippes Spielgefährten ihm dieses Märchen glauben, so sehr phantasierte er sich seinen großen Beschützer herbei. Ein unbestimmtes Gefühl verriet ihm, dass es diesen Bruder wirklich gab. Oder war der kleine Hund aus abgewetztem Plüsch mit den schwarzen Augen aus Bakelit, den er im ehemaligen Dienstmädchenzimmer entdeckte, nur das verstaubte Spielzeug aus den Kindertagen seiner Eltern?
Niemand aus seiner Familie sprach mit ihm über die Vergangenheit. Regelmäßig erkundigte man sich nach der Herkunft des Familiennamens Grimbert, dessen Geheimnis in zwei ausgetauschten Buchstaben steckte. Mutmaßungen dieser Art wurden vom Vater jedoch mit einer Handbewegung beiseite gewischt.
So lebte Philippe mit einer ihm unbekannten Familiengeschichte, die ihre Rätsel hinter mehrfach verschlossenen Türen vor ihm verborgen hielt. Bis zu jenem Tag, als eine enge Freundin seiner Eltern, Louise, mit ihm über dieses jahrelang behütete Geheimnis zu sprechen begann. 
Der Verdacht mit dem Namen bestätigte sich, denn die Eltern hießen früher Grinberg und waren Juden. Sie konnten rechtzeitig aus dem von den Deutschen besetzten Paris aufs Land fliehen und überlebten so die Zeit des Krieges. Doch dies war nur die halbe Wahrheit, denn Philippes Eltern haben erst nach dem Krieg geheiratet. Behutsam erzählt Lousie dem Fünfzehnjährigen die ganze Geschichte, eine Geschichte, voller Tragik, in der es sogar den  immer gewünschten Bruder gegeben hat. Simon war sein Name und alle in der Familie kannten und liebten ihn. 
Aufgeschrieben hat dies der französische Psychoanalytiker und Erzähler Philippe Grimbert, der mit diesem Buch seiner in Auschwitz umgekommenen Familie ein Denkmal setzt. Schicht für Schicht trägt er den Schutt der Vergangenheit ab, um eine nur scheinbar vergessene Welt zu entdecken. Eine Welt voll von Schmerz und Leid, in der das Unfassbare zum Alltag gehörte und auch die Familie Grimbert nicht verschonte. 
Man kann es nicht anders als einen Verdienst des Autors nennen, d
ass diese Geschichte nicht dem Vergessen anheim fiel. Ein Buch als Grab für den Bruder, wie Grimbert im letzten Satz vermerkt, welches nach der bewegenden Lektüre noch lang im Gedächtnis seiner Leser nachhallt. Torsten Seewitz, 16.04.2006

BUCH BEI AMAZON BESTELLEN

oder

WEITERE BUCHTIPPS FINDEN SIE UNTER BÜCHERBORD - DAS ARCHIV