Ein
kleiner Ort an der niederländischen Küste, abends. Der
fünfzehnjährige Wouter liegt wach in seinem Bett. Von
unten aus dem Haus dringt undeutlich das verliebte
Lachen seiner Eltern. Neugierig verfolgt er jeden ihrer
Laute, die plötzlich deutlicher werden und aus dem
Vorgarten in sein Zimmer dringen. Ein vorsichtiger Blick
aus dem Fenster lässt ihn seine Eltern erblicken wie
sie engumschlungen in Richtung Strand gehen. In seinen
Gedanken verfolgt er sie, mit eifersüchtigem Blick auf
seinen Vater.
Am nächsten Morgen wird Wouter von seinem Bruder Stijn
geweckt. Die Eltern sind noch nicht zurück, die Küche
ist nicht aufgeräumt und die Betten im Schlafzimmer
unberührt.
Arglos denkt Wout, dass seine Mutter wohl in der Galerie
des Vaters aushelfen werde und es nicht geschafft hat,
ihnen vorher Frühstück zu machen. Und schließlich hat
er Ferien und alle Zeit der Welt.
Als die Eltern weder in der Galerie noch bei Freunden
oder Verwandten anzutreffen sind, beschließen die Brüder
die Polizei zu benachrichtigen. Tage später wird die
Leiche des Vaters am Strand angespült, die der Mutter
bleibt verschwunden.
Soweit der Anfang des nach „Wahnsee“ (2001) zweiten
ins Deutsche übertragenen Romans von Robert Haasnoot.
Äußerst feinfühlig erzählt, lässt er den Leser
eintauchen in die Gedanken- und Phantasiewelt des
Jugendlichen Wouter, der versucht, das Geschehene zu
verstehen und seine Trauer zu verarbeiten. Immer wieder
taucht die Mutter in seinen Tagträumen auf und gibt ihm
zu verstehen, dass sie noch am Leben sei.
Es ist beklemmend, diesen Einbildungen Wouts zu folgen,
der sich tiefer und tiefer in seine eigene Welt flüchtet.
Es ist aber auch spannend, denn neben den Erklärungsversuchen
des Jungen tauchen Hinweise auf, die daraufhin deuten,
dass der Vater in kriminelle Geschäfte verstrickt war.
Eine Auflösung der Geschichte, so viel sei erwähnt,
wird es nicht geben. Vielmehr bleibt diese dem
Einfallsreichtum des Lesers überlassen. Vielleicht die
einzige Schwachstelle, des ansonsten souverän erzählten
Romans. Torsten Seewitz, 14.03.2005 |