Schreiben
kann Therapie sein, vor allem wenn es darum geht,
traumatische Erlebnisse aufzuarbeiten. So macht der
Journalist Helmut Kuhn auch kein Geheimnis daraus, dass
sein erster Roman „Nordstern“ den Verlust seines
Vaters thematisiert.
Als 1977 die
Yacht „Nordstern IV“ auf dem Weg von Antigua in die
Karibik bei ruhiger See spurlos verschwand, erinnert
sich der Erzähler des Romans , Max Kreuzberg, dass er
damals 15jährig bereits spürte, dass etwas Schlimmes
geschehen sein musste. Unter den vermutlich
Verschollenen befand sich sein Vater Dr. Maximilian
Kreuzberg, von dem seit dieser Zeit jedwedes
Lebenszeichen fehlt. Ebenso verliert sich die Spur der
anderen Crewmitglieder der Segelyacht im Dickicht der
Mutmaßungen, die sogar Mord nicht ausschließen. Die
Yacht tauchte seitdem immer wieder als Phantom auf.
Max Kreuzberg versuchte den Schmerz des Verlusts zu
verdrängen, stürzte sich in ein ausschweifendes Leben
in New York und sprach mehr und mehr dem Alkohol zu.
Doch nichts half, seine Erinnerungen waren stärker und
ließen immer wieder albtraumhafte Bilder
aufsteigen. Und immer wieder die Hoffnung, dass er
vielleicht doch noch lebt, nur ausgestiegen war, um sein
Leben zu leben.
Erst als ihn der deutsche Kriminalbeamte Nicodemus
Merbach mit dem Tod seines Vaters konfrontiert, erwacht
er aus seinem Traum und kehrt nach Deutschland zurück.
Merbach kann und will die Akten nicht ruhen lassen und
er hat in den Jahren seiner Ermittlungstätigkeit
bereits so manches bislang übersehene Detail aufgespürt.
Max Kreuzberg schöpft neue Hoffnung. Von dem
Journalisten Henry Dreher erhält er das umfangreiche
Recherchematerial, welches er für einen Artikel über
das Verschwinden der „Nordstern“ zusammengetragen
hat.
Nahezu fest steht, dass die „Nordstern“ nach dem
Unglück in der Karibik weiterhin mit einem Ehepaar an
Bord gesehen wurde. Ob dies der Skipper Manfred Lehmann
und seine Frau waren, konnte jedoch niemand mit
absoluter Sicherheit sagen.
So muss letztendlich die Suche Max’ Kreuzbergs
ergebnislos bleiben, denn Aufschluss darüber, was mit
seinem Vater geschah, erhielt er nicht.
Überaus geschickt kombiniert Helmut Kuhn in seinem
Roman seine eigene Lebensgeschichte mit der fiktionalen
Ebene eines Romans. In klaren Bildern und mit einer präzisen
Sprache versucht er dem Trauma des Verlusts nachzuspüren
und lässt den Leser somit an seinem
Selbstfindungsprozess Anteil haben. Die Kunstform des
Romans verschafft Kuhn die notwendige Distanz, um sich
seiner Selbst bewusst zu werden. Der Autor unternimmt
den Versuch, den Menschen hinter der Figur des Vaters zu
zeigen, fernab jeder idealisierender Blindheit, die der
Verlust dieser für ihn so wichtigen
Identifikationsfigur mit sich brachte.
Neben der spannenden Detektivgeschichte des wahren
Schicksals der „Nordstern“ ist Helmut Kuhn mit
seinem Debüt ein spannendes Stück Literatur gelungen,
welches das Trauma des Verlusts künstlerisch
eindrucksvoll thematisiert. Torsten Seewitz, 06.09.2003
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