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Willem Frederik Hermans
„Au pair“
Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert
Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig 2003
495 S.; 19,90 Euro

Nach „Die Dunkelkammer des Damokles“ und „Nie mehr schlafen“ setzt der zur Aufbau-Verlagsgruppe gehörende Gustav Kiepenheuer Verlag die Edition der Werke des Niederländers Willem Frederik Hermans mit einem seiner letzten Romane, „Au pair“, fort.
Hermans gehörte in seiner Heimat zu den erfolgreichsten Autoren; einige seiner Bücher avancierten sogar zur Schullektüre.
Waren bislang Männer die Protagonisten seiner Romanhandlungen, so erzählt er in „Au pair“ die Geschichte einer jungen Frau, die der Abiturientin Pauline. Deren Leidenschaften gehören der Kunstgeschichte und der französischen Sprache, und so beschließt sie, dies auch studieren zu wollen. Jedoch nicht in ihrer Heimat, der Niederlande, sondern direkt in Frankreich.
Hermans wählt als Hauptschauplatz seiner Handlung die französische Hauptstadt Paris aus. Mit Bedacht, denn die an Kunstschätzen und skurrilen Menschen reiche Seine-Metropole stellt so recht das Gegenteil zu Paulinas Heimatstadt Vlissingen dar.
Um ihren Aufenthalt finanzieren zu können, beschließt Paulina, eine Anstellung als Au pair zu suchen. Nach kurzer Zeit wird sie auch fündig und wird in einer Anwaltsfamilie angestellt. Doch was sie dort erwartet, entspricht so gar nicht ihren Vorstellungen. Als Wohnraum wird ihr eine schäbige Dachkammer zugewiesen und ihre Arbeitgeberin Madame Pauchard erweist sich als ein ausgewiesen arrogant und unnahbar.
Bereits bei dieser Eingangsepisode  kann der deutschsprachige Leser eine neue Seite Hermans entdecken - die des Schriftstellers mit einem Gespür für hintersinnigen Humor.
Lang hält es Paulina in diesem Haushalt jedoch nicht aus. Bereits nach zwei Tagen macht sie sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Der war bald gefunden, denn die Familie des alten Generals du Lune verlangte nach ihren Diensten. Doch wider Erwarten bekam Paulina den Hausherrn und seine Angehörigen anfangs nicht zu Gesicht.  Statt dessen kümmerte sich das Dienstpersonal um ihre Belange. Sie erhielt ein luxuriöses Zimmer mit Blick auf den Jardin du Luxembourg und wurde von fortan mit Geschenken überhäuft. Erst nach einigen Tagen lernte sie den alten General kennen, der nichts anderes von ihr forderte, als sich mit ihm zu unterhalten.
Paulinas Tätigkeit in diesem Haushalt beschränkte sich tatsächlich auf diese Gespräche, also hatte sie genügend Zeit für ihr Studium.
Nach und nach lernte sie die gesamte kauzige Familie des Generals kennen, ohne zu begreifen, was tatsächlich von ihr als Au pair verlangt wurde. Bis eines Tages der Wunsch an sie herangetragen wurde, einen Geldkoffer in die Schweiz zu bringen...
Hermans hat von 1983 bis 1989 an diesem Roman gearbeitet und in dieser Zeit ein Meisterwerk vollendet, dass dem Ruf des Autors als herausragender Schriftsteller vollends gerecht wird. Denn Hermans versteht es meisterhaft, wie bereits in seinen vorhergehenden Romanen, eine subtile Spannung aufzubauen, die den Leser gefangen nimmt und ihn immer tiefer in ein Labyrinth aus Fragen und Mutmaßungen verstrickt.
Letztendlich ist ihm mit „Au pair“ ein beeindruckender, genau beobachteter Roman über eine Welt gelungen, in der materielle die ideellen, menschlichen Werte verdrängt haben.
Torsten Seewitz, 15.01.2004

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