Dank des
Gustav Kiepenheuer Verlages gibt es endlich die
Möglichkeit, weitere Bücher des niederländischen
Klassikers Willem Frederik Hermans zu entdecken. Nach
"Die
Dunkelkammer des Damokles" (1948) publiziert
der Verlag nun ein jüngeres Werk des Autors, "Nie
mehr schlafen", erstmals erschienen 1966.
Soviel sei vorweg bemerkt, wer bereits am Roman am
Damokles-Roman Gefallen gefunden hatte, der wird vom nun
vorliegenden Buch ebenso wenig enttäuscht werden.
Hermans führt seine Leser in gewohnter Weise wieder in
die Abgründe der menschliche Seele.
Sein Protagonist Alfred Issendorf, ein junger
niederländischer Geologiestudent, der im Schatten
seines Vaters stehend, begibt sich auf eine Expedition
in die unwegsamen Regionen des norwegischen Nordens.
Sein Ziel ist es, Beweise für den Einschlag mehrerer
Meteoriten in der Finnmark zu finden. Sollte es ihm
gelingen, diese These seines Professors zu beweisen und
seine Doktorarbeit darüber zu schreiben, wären ihm
Ruhm und Anerkennung in der Fachwelt gewiss. Doch die
Expedition steht unter keinem guten Stern. Bereits auf
der ersten Etappe seiner Reise zu den anderen
Teilnehmern der Expedition, bringt erste Enttäuschungen
mit sich, denn die für ihn so wichtigen Luftaufnahmen
des Forschungsgebietes sind nicht auffindbar.
Dennoch optimistisch ob des Erfolges seiner Reise begibt
sich Issendorf nach Alta. Von dort sollte die Expedition
starten. Sein Studienfreund Arne erwartete ihn
bereits, um ihm mitzuteilen, dass sie die anderen
Teilnehmer später treffen würden.
Gleich in der ersten Nacht bekam Alfred einen
Vorgeschmack auf das, was ihn in den nächsten Wochen
erwarten würde. Durchdringende Feuchtigkeit, Kälte,
helle Mitsommernächte und Mücken, die zu Hunderten
seinen Körper malträtieren.
Nahezu besessen von dem Wunsch nach unbedingtem Erfolg
seiner Forschungen, steht Alfred unter enormer
psychischer Anspannung, die die Strapazen der langen
beschwerlichen Fußmärsche zum Ziel seiner Reise nicht
kompensieren kann.
Als nach tagelangen Wanderungen weit und breit keine
Beweise für die Theorien seines Professors zu finden
sind, beginnen sich wahnhafte Gedanken seiner zu
bemächtigen. Sogar in seinem Freund Arne sieht er einen
Missgünstigen, der ihm den Erfolg nicht gönnt. Immer
tiefer spinnt sich Alfred in seine wahnhaften Gedanken
ein und kann sich letztendlich nicht mehr aus diesem
Dilemma befreien. Auch dann nicht, als er seinen
Freund Arne leichtfertig allein lässt.
Hermans zeichnet das äußerst genaue Psychogramm
eines jungen Mannes, der um jeden Preis erfolgreich sein
will, auch die Gefahr in Kauf nehmend, das Leben eines
anderen Menschen zu riskieren. Es ist erschreckend, zu
verfolgen, mit welcher Gefühlskälte Alfred sein Ziel
verfolgt und wie mehr und mehr sein wahrer Charakter,
der an Egozentrik kaum zu übertreffen scheint, zu Tage
tritt.
Es ist sicherlich nicht unbegründet, dass Hermann in
Einschüben von den Expeditionen Amundsens und Scotts
sowie ihrem Wettlauf bei der Entdeckung des Südpols
erzählt. Denn auch hier wirkten die gleichen
Mechanismen, in dem Forscherdrang einzig dem Ziel wich,
Sieger zu sein, um in die Annalen der
Wissenschaftsgeschichte einzugehen. So betrachtet, hat
Hermans Protagonist Alfred Issendorf das Rennen
verloren. Zwar ist er als einziger im Ziel angelangt,
doch kann dieser Umstand das Eingestehen der eigenen
Mittelmäßigkeit nicht abwenden. ©Torsten Seewitz,
30.09.2002 |