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Willem Frederik Hermans
"Nie mehr schlafen"
Aus dem Niederländischen von  Waltraut Hüsmert
Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig 2002
319 S., 19,90 Euro

Dank des Gustav Kiepenheuer Verlages gibt es endlich die Möglichkeit, weitere Bücher des niederländischen Klassikers Willem Frederik Hermans zu entdecken. Nach  "Die Dunkelkammer des Damokles" (1948) publiziert der Verlag nun ein jüngeres Werk des Autors, "Nie mehr schlafen", erstmals erschienen 1966. 
Soviel sei vorweg bemerkt, wer bereits am Roman am Damokles-Roman Gefallen gefunden hatte, der wird vom nun vorliegenden Buch ebenso wenig enttäuscht werden. Hermans führt seine Leser in gewohnter Weise wieder in die Abgründe der menschliche Seele. 
Sein Protagonist Alfred Issendorf, ein junger niederländischer Geologiestudent, der im  Schatten seines Vaters stehend, begibt sich auf eine Expedition in die unwegsamen Regionen des norwegischen Nordens. Sein Ziel ist es, Beweise für den Einschlag mehrerer Meteoriten in der Finnmark zu finden. Sollte es ihm gelingen, diese These seines Professors zu beweisen und seine Doktorarbeit darüber zu schreiben, wären ihm Ruhm und Anerkennung in der Fachwelt gewiss. Doch die Expedition steht unter keinem guten Stern. Bereits auf der ersten Etappe seiner Reise zu den anderen Teilnehmern der Expedition, bringt erste Enttäuschungen mit sich, denn die für ihn so wichtigen Luftaufnahmen des Forschungsgebietes sind nicht auffindbar. 
Dennoch optimistisch ob des Erfolges seiner Reise begibt sich Issendorf nach Alta. Von dort sollte die Expedition starten. Sein Studienfreund  Arne erwartete ihn bereits, um ihm mitzuteilen, dass sie die anderen Teilnehmer später treffen würden.
Gleich in der ersten Nacht bekam Alfred einen Vorgeschmack auf das, was ihn in den nächsten Wochen erwarten würde. Durchdringende Feuchtigkeit, Kälte, helle Mitsommernächte und Mücken, die zu Hunderten seinen Körper malträtieren. 
Nahezu besessen von dem Wunsch nach unbedingtem Erfolg seiner Forschungen, steht Alfred unter enormer psychischer Anspannung, die die Strapazen der langen beschwerlichen Fußmärsche zum Ziel seiner Reise nicht kompensieren kann. 
Als nach tagelangen Wanderungen weit und breit keine Beweise für die Theorien seines Professors zu finden sind, beginnen sich wahnhafte Gedanken seiner zu bemächtigen. Sogar in seinem Freund Arne sieht er einen Missgünstigen, der ihm den Erfolg nicht gönnt. Immer tiefer spinnt sich Alfred in seine wahnhaften Gedanken ein und kann sich letztendlich nicht mehr aus diesem Dilemma befreien. Auch dann nicht, als er seinen  Freund Arne leichtfertig allein lässt. 
Hermans zeichnet das äußerst genaue Psychogramm eines jungen Mannes, der um jeden Preis erfolgreich sein will, auch die Gefahr in Kauf nehmend, das Leben eines anderen Menschen zu riskieren. Es ist erschreckend, zu verfolgen, mit welcher Gefühlskälte Alfred sein Ziel verfolgt und wie mehr und mehr sein wahrer Charakter, der an Egozentrik kaum zu übertreffen scheint, zu Tage tritt. 
Es ist sicherlich nicht unbegründet, dass Hermann in Einschüben von den Expeditionen Amundsens und Scotts sowie ihrem Wettlauf bei der Entdeckung des Südpols erzählt. Denn auch hier wirkten die gleichen Mechanismen, in dem Forscherdrang einzig dem Ziel wich, Sieger zu sein, um in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte einzugehen. So betrachtet, hat Hermans Protagonist Alfred Issendorf das Rennen verloren. Zwar ist er als einziger im Ziel angelangt, doch kann dieser Umstand das Eingestehen der eigenen Mittelmäßigkeit nicht abwenden. ©Torsten Seewitz, 30.09.2002

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