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Barbara Honigmann
"Alles, alles Liebe!"

Carl Hanser Verlag München 2000
182 Seiten, 17,90 €

Ein wenig verbreitet der Briefroman "Alles, alles Liebe!" die Wehmut von Christa Wolfs "Sommerstück" und beschwört somit ein Stück deutscher Geschichte herauf - das Leiden der Intellektuellen am Staat "DDR" mit all seinen Reglementierungen und Unsicherheiten. Doch Barbara Honigmann beschränkt sich nicht auf diese Sicht, sondern erzählt die Geschichte der frühen 70er Jahre aus der Perspektive jüdischer Überlebender des Holocaust und deren Nachfahren, die ihre Heimat im Osten Deutschlands gefunden glauben.
Anna, eine junge Regisseurin, sucht eine neue berufliche Herausforderung. Sie verlässt das Berliner Großstadtleben, um eine Stelle in der Provinz, genauer dem Prenzlauer Theater, anzunehmen. Doch was als Neuanfang gedacht war, gestaltet sich bald als Niederlage. Zu sehr ist sie mit ihrem Freundeskreis verbunden und zu sehr ödet sie die Miefigkeit der Provinz an. 
Bleibt einzig und allein die Verständigung über Briefe, altmodisch mit der Hand geschrieben. Alltägliches wechselt mit Belanglosem, persönliche Verzweiflung über die Untreue des Geliebten mit tiefgreifenden, verzweifelten Gedanken über die Lebenssituation in diesem Staat DDR. Hoffnungslosigkeit, die vor allem geschürt wird, durch den latent spürbaren Antisemitismus unter ihren Mitmenschen. Sicher schien nur der Freundeskreis, die Welt der Künstler und Träumer.
Anna fühlt sich unverstanden in ihrer neuen Lebenswelt und auf Grund ihres Glaubens an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sehnsüchtig liest sie die Briefe der Freunde, deren neue Heimat Moskau oder Jerusalem heißt. 
Barbara Honigmann erzählt in "Alles, alles Liebe!" eine Geschichte der Sehnsucht, der Sehnsucht nach Heimat. Zwar fanden die jüdischen Emigranten nach Ende des Nationalsozialismus im sozialistischen Teil Deutschlands einen sicheren Hort, doch wurde ihr Bleiben mit Privilegien wie der Reisefreiheit vom Staat erkauft. 
Dem Leser erschließt der Roman so die Innenansicht einer untergegangen Welt, die in dieser Form nur Eingeweihten vertraut war. Es ist die besondere Klarheit der Sprache Barbara Honigmanns, die die Ernüchterung über das Erlebte zwischen den Zeilen spüren lässt. Illusionslos hält sie Rückschau, voller Unverständnis für die Lebenssicht der Elterngeneration. ©Torsten Seewitz, 04.03.2001

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