Es ist
schon eine skurrile Gesellschaft, die Javier Marias in
seinem Buch "Geschriebenes Leben" versammelt -
zwanzig Portraits mehr oder weniger bedeutender
Schriftsteller. Obgleich im Vorwort angekündigt, es
handele sich bei den beschriebenen Leben zum Teil um der
dichterischen Freiheit geschuldete Phantasien und Ausschmückungen,
erwartet den Leser eine kurzweilige Reise in die merkwürdige
Welt der Dichter. Nicht unwesentlich scheint die Betonung
auf "Ironische Halbportraits" im Untertitel, der
Leser könnte ansonsten glauben, die großen Romane dieser
Welt wurden von lauter wunderlichen Gestalten geschrieben.
So bewahrt Marias wenigstens die Illusion, dass
Schriftsteller trotz ihrer zahlreichen Tics dennoch
geniale Künstler sind.
Erzählt Marias im Folgenden die Episoden aus dem Leben
seiner Schriftstellerkollegen weitestgehend mit Sympathie,
werden drei der Dichter eher mit Abstand betrachtet. So
belustigt sich Marias über die akribischen
Eintragungen Thomas Manns in seinen Tagebüchern im
Hinblick auf seine momentanen gesundheitliche
Befindlichkeiten, vor allem des Magens, und erlaubt sich
die Frage, welche Bedeutung das Lesen dieser belanglosen
Details für die nachfolgenden Generationen besitzen würde.
Ähnliches
Unverständnis bringt er für das theatralisch inszenierte
Harakiri des japanischen Autors Yukio Mishima auf, der
zeit seines Lebens mit der Imagepflege seines wenig
spektakulären Daseins beschäftigt war.
Wesentlich interessanter erscheinen da die Portraits von
Autoren wie Isak Dinesen (Tanja Blixen), Arthur Rimbaud
oder Malcolm Lowry, um nur einige Beispiele zu nennen.
Javier Marias beweist mit diese literarischen
"Halbportraits, dass er nicht nur die Kunst des
Romans vortrefflich beherrscht, sondern auch auf kleinsten
Raum brillant zu erzählen vermag. Neben den Essays, die
bereits 1992 in der Zeitschrift Claves de razon
practica erschienen sind, wird die vorliegende Ausgabe
durch die Portraitsammlung "Flüchtige Frauen"
ergänzt, die sich der weiblichen Seite der schreibenden
Zunft widmet; natürlich genauso vortrefflich und mit dem
gewissen ironischen Unterton geschrieben.
Als vertraue Marias nicht der Kraft seiner Worte, schmücken
zahlreiche Fotos der portraitierten Schriftsteller diesen
Sammelband. Die Aufnahmen stammen aus der privaten
Sammlung Javier Marias, die er auf verschiedenen Flohmärkten
und in Antiquariaten entdeckt und zusammengetragen hat.
Dieser Passion folgend, widmet sich der abschließende
Aufsatz "Vollendete Künstler" ausgiebig der
Wirkung von Mimik und Gestik der portraitierten
Schriftsteller.
Mit "Geschriebenes Leben" entführt Marias den
Leser mit der ihm eigenen Sprachmagie in die unbekannte
Welt der Schriftsteller, die weniger Heroen, denn mehr
sensiblen Zeugen ihrer Zeit waren, immer in Gefahr, an den
Realitäten des Lebens zu zerbrechen. Schlussendlich ist
dies aber auch ein Buch, welches zum Lesen oder
Wiederlesen des einen oder anderen Romans der
vorgestellten Autoren anregt. ©Torsten Seewitz,
17.05.2001 |