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Javier Marias
"Geschriebenes Leben. Ironische Halbportraits"

Aus dem Spanischen von Carina von Enzenberg
Klett Cotta Stuttgart 2001
315 Seiten, 20,00 Euro

Es ist schon eine skurrile Gesellschaft, die Javier Marias in seinem Buch "Geschriebenes Leben" versammelt - zwanzig Portraits mehr oder weniger bedeutender Schriftsteller. Obgleich im Vorwort angekündigt, es handele sich bei den beschriebenen Leben zum Teil um der dichterischen Freiheit geschuldete Phantasien und Ausschmückungen, erwartet den Leser eine kurzweilige Reise in die merkwürdige Welt der Dichter. Nicht unwesentlich scheint die Betonung auf "Ironische Halbportraits" im Untertitel, der Leser könnte ansonsten glauben, die großen Romane dieser Welt wurden von lauter wunderlichen Gestalten geschrieben. So bewahrt Marias wenigstens die Illusion, dass Schriftsteller trotz ihrer zahlreichen Tics dennoch geniale Künstler sind. 
Erzählt Marias im Folgenden die Episoden aus dem Leben seiner Schriftstellerkollegen weitestgehend mit Sympathie, werden drei der Dichter eher mit Abstand betrachtet. So belustigt sich Marias über die akribischen  Eintragungen Thomas Manns in seinen Tagebüchern im Hinblick auf seine momentanen gesundheitliche Befindlichkeiten, vor allem des Magens, und erlaubt sich die Frage, welche Bedeutung das Lesen dieser belanglosen Details für die nachfolgenden Generationen besitzen würde.
Ähnliches Unverständnis bringt er für das theatralisch inszenierte Harakiri des japanischen Autors Yukio Mishima auf, der zeit seines Lebens mit der Imagepflege seines wenig spektakulären Daseins beschäftigt war.
Wesentlich interessanter erscheinen da die Portraits von Autoren wie Isak Dinesen (Tanja Blixen), Arthur Rimbaud oder Malcolm Lowry, um nur einige Beispiele zu nennen.
Javier Marias beweist mit diese literarischen "Halbportraits, dass er nicht nur die Kunst des Romans vortrefflich beherrscht, sondern auch auf kleinsten Raum brillant zu erzählen vermag. Neben den Essays, die bereits 1992 in der Zeitschrift Claves de razon practica erschienen sind, wird die vorliegende Ausgabe durch die Portraitsammlung "Flüchtige Frauen" ergänzt, die sich der weiblichen Seite der schreibenden Zunft widmet; natürlich genauso vortrefflich und mit dem gewissen ironischen Unterton geschrieben.
Als vertraue Marias nicht der Kraft seiner Worte, schmücken zahlreiche Fotos der portraitierten Schriftsteller diesen Sammelband. Die Aufnahmen stammen aus der privaten Sammlung Javier Marias, die er auf verschiedenen Flohmärkten und in Antiquariaten entdeckt und zusammengetragen hat. Dieser Passion folgend, widmet sich der abschließende Aufsatz "Vollendete Künstler" ausgiebig der Wirkung von Mimik und Gestik der portraitierten Schriftsteller.
Mit "Geschriebenes Leben" entführt Marias den Leser mit der ihm eigenen Sprachmagie in die unbekannte Welt der Schriftsteller, die weniger Heroen, denn mehr sensiblen Zeugen ihrer Zeit waren, immer in Gefahr, an den Realitäten des Lebens zu zerbrechen. Schlussendlich ist dies aber auch ein Buch, welches zum Lesen oder Wiederlesen des einen oder anderen Romans der vorgestellten Autoren anregt. ©Torsten Seewitz, 17.05.2001

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