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Wladimir Kaminer
"Militärmusik"

Manhattan München 2001
191 Seiten, € 18,00

Erzählt Wladimir Kaminer in seinem ersten, viel beachteten Buch "Russendisko" von seiner Zeit nach der Flucht in den Westen, so kann der aktuelle Roman "Militärmusik" als deren Vorgeschichte gelesen werden. Der Autor wird 1967 geboren, fünfzig Jahre nach der Großen Oktoberrevolution, einem für die Sowjetunion denkwürdigem Jubiläum. Doch statt Freude über die Vorzüge des Sozialismus, herrscht bei den Einwohnern Frust über die unzulänglichen Zustände im Land. Probleme waren an der Tagesordnung, so gab es "das Wurstproblem, das Zuckerproblem, das Butterproblem und unzählige andere, welche die Sowjetunion [...] unattraktiv machten.".
Kaminer erinnert mit viel Witz und in gewohnt lockerem Stil seine Kindheit und Jugend in seinem Heimatland. In zahlreichen  Anekdoten, bevölkert mit einer Vielzahl skurriler Personen, lässt er seine Schulzeit, die ersten Versuche, Geld zu verdienen und seine Zeit in der Armee noch einmal Revue passieren. Seine Einblicke in eine geschlossene Gesellschaft, in eine Welt voller Absurditäten lassen beim Lesen die Frage aufkeimen, weshalb dieses Land nicht bereits früher seine Bankrott erklärt hat. 
Ob die verlogene, auf politische Phrasen ausgerichtete Schulerziehung oder die mangelnde Moral in der ehemals so siegreichen Sowjetarmee,  Kaminer lebte ein Leben neben der Normalität. Aller Zwang war ihm fremd und einzig seine Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, hielt ihn an der Oberfläche der sozialistischen Gesellschaft, in der Andersdenkende wie Aussätzige behandelt wurden.
Aber gerade dieses Leben wider die Konformität, brachte viele der heute aktiven russischen Künstler hervor.
Liest man die als Roman etikettierte Geschichtensammlung Kaminers, erschließt sich eine unbekannte Welt, die zwar ironisch zugespitzt, aber dennoch ein wenig von der Trost- und Perspektivlosigkeit eines untergegangenen Landes erfahrbar macht. Vielleicht ist diese Form des Erzählens die einzig mögliche Annäherung an ein Stück Geschichte,  deren vorzeitiges Ende so niemand vorhersehen konnte.
Wladimir Kaminer ist in seiner neuen Heimat Deutschland angekommen und gehört gerade für die Kulturwelt der Hauptstadt  zu einer mittlerweile unverzichtbaren Größe. Seien es die inzwischen legendäre Russendisko im Kaffee Burger, seine Arbeit als Rundfunkmoderator von "Wladimirs Welt"  oder seine Texte als Kolumnist für verschiedene deutsche Tageszeitungen.
Wer noch mehr von diesem ungewöhnlichen Autor lesen möchte, dem sei der im Dezember 2001 bei Goldmann als Taschenbuch erschienene Geschichtenband mit den Titel "Schönhauser Allee" empfohlen. ©Torsten Seewitz, 25.02.2002  

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