Wie
soll man umgehen mit seiner schwer erkrankten Frau? Wie
soll man trösten, wenn eigene Kräfte versagen, weil
der Traum vom gemeinsamen Altwerden wie eine Seifenblase
zerplatzt? Woher die Zuversicht nehmen, die die leidende
Frau so dringend braucht?
Carmen und Stijn sind bei diesen Fragen des Lebens
angekommen. Fragen, die sie sich niemals stellen wollten,
weil ihr Leben bislang in erfolgreichen Bahnen verlief.
Bis zu jenem Tag, als in Carmens Brust ein Tumor
diagnostiziert wird, der sich zu allem Unheil als bösartig
herausstellt. Fortan versuchen beide, ihr Leben neu zu
ordnen. Zwar gelingt es ihnen anfangs, die Diagnose zu
verdrängen und all die Untersuchungen und beginnenden
Therapien mit einer gewissen Art Galgenhumor
hinzunehmen, doch bröckelt diese Fassade nach
nicht allzu langer Zeit.
Nicht mehr sie und ihre gemeinsame Tochter stehen im
Mittelpunkt, sondern der Krebs. Stijn fühlt sich durch
Carmens Krankheit zunehmend einsam und seiner Identität
beraubt. Ihm fehlt das, was sein Leben zuvor ausmachte.
Mit Freunden ausgehen, bis spät in die Nacht in
Diskotheken tanzen und andere Frauen treffen. So nimmt
er sich, was ihm Carmen momentan nicht geben kann
und stürzt sich in das Amsterdamer Nachtleben und in
zahlreiche Affären. Affären, die Stijn Kraft geben.
Kraft, die er für Carmen so dringend braucht.
Aufgeschrieben hat dies teils autobiographisch geprägte
Geschichte der niederländische
Autor Kluun und damit in seiner Heimat einen Sturm der
Begeisterung ausgelöst. "Mitten ins Gesicht"
ist kein rührseliger Text, der im falschen Pathos
erstickt, sondern ein bewegendes und ehrliches Buch über
zwei Menschen, die verzweifelt ihr gemeinsames Leben
festhalten. Oft bewegt sich der Roman nah an der Grenze
des emotional Erträglichen, zum einen, wenn Stijn seine
Frau betrügt und danach vor Schuldgefühlen fast
zerbricht, zum anderen, wenn er voller Hingabe für
Carmen da ist und ihr Leiden zu lindern versucht.
So wie Stijn der Realität ihn mitten ins Gesicht sehen
muss, so sieht sich der Leser mit einer Geschichte
konfrontiert, die obgleich sie polarisiert, mitten ins
Herz trifft.
Torsten Seewitz, 23.02.2006
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