Als im Frühjahr 1968 der "Prager Frühling" von der
sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde, erstarben nicht nur
der CSSR die letzten Hoffungen auf eine Reform des
Sozialismus. Der Weg war frei für die selbsternannten
kommunistischen Helden, die ihr Utopia, egal um welchen Preis,
verwirklichen wollten. Nicht kritischer Geist, sondern die
regimekonformes Denken ebnete den Weg an die Macht. So waren
es zumeist die kritischen Intellektuellen, die zu
Staatsfeinden erklärt und mundtot gemacht wurden. Um nicht
unterzugehen, blieb ihnen meist nur die Flucht in ein anderes
Land, in die
Sicherheit des Exils.
Milan Kundera erzählt in seinem aktuellen Roman "Die
Unwissenheit" eben diese Geschichte von Flucht, Ohmacht
und Heimatlosigkeit, kurz den Folgen des Exils. Irina und
Josef, beide tschechische Emigranten, leben bereits seit
Jahren in der Fremde. Irina in Frankreich, Josef in Dänemark.
Ihre Leben haben sie den Gegebenheiten angepasst, ohne je eine
Heimat gefunden zu haben. Nach der friedlichen Revolution von
1989 begeben sich beide unabhängig voneinander zurück in ihr
Heimatland. Doch müssen sie erfahren, dass dort niemand auf
sie wartet. Sie sind Reisende in einer Zwischenwelt, im Exil
noch immer als "die Emigranten" angesehen, behandeln
sie Freunde und Familie in der Heimat ebenfalls wie
Fremde.
Kundera findet für diesen Zustand die Analogie zu den
Erlebnissen des Odysseus, der nach 20 Jahren rastlosen
Umherirrens in der Welt erwartungsvoll nach Hause
zurückkehrt. Doch entgegen seines Schicksals, empfinden sich
Irina und Josef als Eindringlinge in einer ihr vertrauten und
doch so fremden Welt. Der Zauber der Erinnerung weicht schnell
der Erkenntnis über die verlorene Geborgenheit.
Durch einen Zufall finden Irina und Josef in ihrer alten
Heimat zueinander. Die Vergangenheit heraufbeschwörend,
stürzen sich beide in eine leidenschaftliche aber kurze
Affäre. Letztendlich trennen sie sich wieder, in der
Gewissheit, in ihre zweite Heimat, die des Exils,
zurückzukehren.
Aus meiner Sicht hat Milan Kundera mit "Die
Unwissenheit" sein persönlichstes Buch geschrieben;
einen Roman über die Einsamkeit und Fremde des
Exils sowie die immerwährende Sehnsucht des Menschen
nach Heimat, nach einem Fleck Erde, der Vertrautes und
Geborgenheit vereint. Kundera verknüpft, wie bereits in
seinen vorhergehenden Romanen "Die Langsamkeit" und
"Die Identität", essayistische Einschübe, in denen
er über das Phänomen "Exil" sinniert mit wunderbar
poetischen Passagen über die Liebe. Gerade diese
Verknüpfung von sachlicher und emotionaler Ebene macht den
ungeheuren Reiz dieses Buches aus. ©Torsten Seewitz,
29.05.2001
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