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Milan Kundera 
"Die Unwissenheit"

Aus dem Französischen von Uli Aumüller
Carl Hanser Verlag München 2001
180 Seiten, 17,90 € (HC) 

Als im Frühjahr 1968 der "Prager Frühling" von der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde, erstarben nicht nur der CSSR die letzten Hoffungen auf eine Reform des Sozialismus. Der Weg war frei für die selbsternannten kommunistischen Helden, die ihr Utopia, egal um welchen Preis, verwirklichen wollten. Nicht kritischer Geist, sondern die regimekonformes Denken ebnete den Weg an die Macht. So waren es zumeist die kritischen Intellektuellen, die zu Staatsfeinden erklärt und mundtot gemacht wurden. Um nicht unterzugehen, blieb ihnen meist nur die Flucht in ein anderes Land, in die Sicherheit des Exils.
Milan Kundera erzählt in seinem aktuellen Roman "Die Unwissenheit" eben diese Geschichte von Flucht, Ohmacht und Heimatlosigkeit, kurz den Folgen des Exils. Irina und Josef, beide tschechische Emigranten, leben bereits seit Jahren in der Fremde. Irina in Frankreich, Josef in Dänemark. Ihre Leben haben sie den Gegebenheiten angepasst, ohne je eine Heimat gefunden zu haben. Nach der friedlichen Revolution von 1989 begeben sich beide unabhängig voneinander zurück in ihr Heimatland. Doch müssen sie erfahren, dass dort niemand auf sie wartet. Sie sind Reisende in einer Zwischenwelt, im Exil noch immer als "die Emigranten" angesehen, behandeln sie Freunde und Familie in der Heimat ebenfalls wie Fremde. 
Kundera findet für diesen Zustand die Analogie zu den Erlebnissen des Odysseus, der nach 20 Jahren rastlosen Umherirrens in der Welt erwartungsvoll nach Hause zurückkehrt. Doch entgegen seines Schicksals, empfinden sich Irina und Josef als Eindringlinge in einer ihr vertrauten und doch so fremden Welt. Der Zauber der Erinnerung weicht schnell der Erkenntnis über die verlorene Geborgenheit. 
Durch einen Zufall finden Irina und Josef in ihrer alten Heimat zueinander. Die Vergangenheit heraufbeschwörend, stürzen sich beide in eine leidenschaftliche aber kurze Affäre. Letztendlich trennen sie sich wieder, in der Gewissheit, in ihre zweite Heimat, die des Exils, zurückzukehren. 
Aus meiner Sicht hat Milan Kundera mit "Die Unwissenheit" sein persönlichstes Buch geschrieben; einen Roman über die Einsamkeit und Fremde des Exils sowie die immerwährende Sehnsucht des Menschen nach Heimat, nach einem Fleck Erde, der Vertrautes und Geborgenheit vereint.  Kundera verknüpft, wie bereits in seinen vorhergehenden Romanen "Die Langsamkeit" und "Die Identität", essayistische Einschübe, in denen er über das Phänomen "Exil" sinniert mit wunderbar poetischen Passagen über die Liebe. Gerade diese Verknüpfung von sachlicher und emotionaler Ebene macht den ungeheuren Reiz dieses Buches aus.  ©Torsten Seewitz, 29.05.2001  

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