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Andrei Makine
"Das Verbrechen der Olga Arbelina"
Aus dem Französischen von Sabine Müller und Holger Fock
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 2000
320 Seiten, 19,95 € (HC), 9,00 € (TB)

Was veranlaßt einen Menschen, sich eines Verbrechens schuldig zu bekennen, wissentlich der Tatsache, dieses nicht begangen zu haben? Sollte der Schuldige von der Straftat freigesprochen, oder gar ein anderes Verbrechen vertuscht werden?
Die Bewohner des kleinen französischen Ortes Villiers-la-Foret werden diese Frage wohl nie vollständig beantworten können. Zu undurchsichtig stellte sich die Beweislage des Julitages 1947 dar, an welchem eine halb entkleidete, unter Schock stehende Frau neben einem ertrunkenen Mann am nahegelegenen Flussufer aufgefunden wurden.
Welches Geheimnis die Frau mit Namen Olga Arbelina umgab, erzählt Andrei Makine in seinem neuesten Roman "Das Verbrechen der Olga Arbelina". Wie in dem bereits 1995 in Deutschland erschienenen Roman "Das französische Testament", sind russische Emigranten, die in Frankreich ihre Zuflucht gefunden haben, die Protagonisten.
Mit Olga Arbelina betrat erstmals eine Adlige die kleine russische Kolonie des Ortes Villiers, doch entgegen der Erwartung der anderen russischen Emigranten litt sie nicht an ihrem Exil, sondern lebte ärmlich und zurückgezogen wie sie selbst. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich als Bibliothekarin in der Bücherei des Altenheimes.
Mit großer Sensibilität fühlt sich Makine in die Psyche seiner Protagonistin ein und läßt sie in langen, monologischen Passagen ihre verhängnisvolle Vergangenheit erinnern.
Es bedarf schon ein wenig an Geduld, sich in der Gedanken- und Gefühlswelt der Olga Arbelina zurechtzufinden. Makine belohnt diese Ausdauer dennoch, indem er behutsam biographische Bruchstücke aneinanderfügt und somit Stück für Stück das Geheimnis der Olga Arbelina preisgibt.
Zentrales Motiv des Romans ist die schicksalhaft geprägte Beziehung zu ihrem Sohn, der an der Hämorrhagie (Bluterkrankheit) erkrankt ist - die Erbkrankheit des russischen Adels. Über viele Jahre hinweg versucht Olga Arbelina diese Erkrankung vor ihm und der Umwelt zu verbergen. Nur der im Ort ansässige Arzt wird von ihr konsultiert.
Man könnte versucht sein, es Alltag zu nennen, was Makine über weite Strecken des Romans beschreibt; die Ängste und Sehnsüchte einer alleinstehenden Frau und Mutter, die sich um die eigene Zukunft und die ihres kranken Sohnes sorgt und nicht wahrhaben will, daß ihr Kind erwachsen wird.
Wie gesagt, man könnte, wären da nicht die heimlichen Besuche in Olgas Wohnung während der langen und kalten Winternächte. Anfänglich keimt in Olga nur ein Verdacht, der bald Gewißheit wird. Eine Erkenntnis, die ihr Leben von einen Tag auf den anderen verändert. Sie bricht ein Tabu, welches kein Zurück in die Normalität zuläßt... ©Torsten Seewitz, 27.07.2000

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