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Ian McEwan
„Saturday“
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Diogenes Verlag Zürich
387 S.; 19,90 Euro

Wenn in diesem Jahr der Nobelpreis für Literatur vergeben wird, dürfte der Brite McEwan zu den erfolgversprechendsten Anwärtern gehören. Denn seit im Jahr 1975 sein erster Erzählungsband „Erste Liebe - letzte Riten“ erschien, reißt der Erfolg seiner Bücher nicht ab. Ob mit seinem 2003 erschienenen Roman „Abbitte“, der sich über drei Millionen Mal verkaufte, oder „Amsterdam“, für den er 1998 den Booker-Preis erhielt, immer schaffte es McEwan seine Leserschaft so anzurühren, dass sie seinen Fiktionen vollen Lobes folgten.
Nicht anders dürfte es seinem jüngsten Prosawerk „Saturday“ ergehen, dessen Erscheinen in diesem Jahr mit einem riesigen Medienrummel einherging. Eigentlich ein gutes Zeichen für den Stellenwert von Literatur in der Gesellschaft, wenn das Erscheinen eines Romans der BBC einen Platz in den Hauptnachrichten wert ist. Wenn man nicht ganz so weit gehen möchte, so spricht dies zumindest für die Bedeutsamkeit des Autors, der mittlerweile nicht nur in Großbritannien zu den herausragendsten Schriftstellern zählt.
Doch was hat diese starke Medienpräsenz ausgelöst? Es waren wohl die Thematisierung des Traumas vom 11. September 2001 und die Folgen des Irakkrieges, denen sich McEwan in seinem Roman zuwendet. Sollte man den Inhalt beschreiben, dann fielen die Schilderungen wohl weniger spektakulär aus. Denn „Saturday“ handelt an einem einzigen Tag. Es ist Samstag, der 15. Februar 2003 und London steht vor einer der größten Antikriegsdemonstrationen gegen den Einsatz britischer Militärkräfte im Irak.
Ian McEwan hat sich einen Protagonisten ausgedacht, der wohlsituiert das Weltgeschehen mit gewissem inneren Abstand betrachtet. Henry Perowne ist sein Name, erfolgreicher Neurochirurg, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Wie bereits James Joyce in „Ulysses“ oder Virginia Woolf in „Mrs Dalloway“ entfaltet er den inneren Kosmos seiner Hauptfigur in allen Facetten. Er leuchtet tief in die Psyche, ohne jedoch das Geschehen der Außenwelt zu vernachlässigen. Es ist gerade dieses In-Beziehung-Setzen, das Verlassen der bloßen Nabelschau, die das Besondere dieses Romans ausmachen.
Es beginnt bereits in den frühen Morgenstunden dieses außergewöhnlichen Samstags, als Henry Perowne, am Küchenfenster stehend, ein brennendes Flugzeug am Himmel erblickt. Die Assoziation „11. September 2001“ lässt nicht lange auf sich warten. Dass später in den Nachrichten verkündet wird, es handelte sich „nur“ um den Triebwerksschaden eines russischen Transportflugzeuges, beruhigt Perowne nur unwesentlich und letztendlich stellt diese Beobachtung am frühen Morgen nur den Beginn einer Kette wesentlich beunruhigender Geschehnisse in seinem Leben dar. Noch freut er sich auf das Squashspiel mit seinem Kollegen und auf das abendlicher Treffen mit seiner Tochter, die er seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen hat.
Auf dem Weg zur Squashhalle passiert ihm ein Unfall, eine kleine Karambolage mit einem anderen Fahrzeug. Eigentlich eine Angelegenheit, die schnell zu regeln gewesen wäre, doch hat Perowne den Fahrer des anderen Fahrzeugs unterschätzt, dem nichts ferner scheint, als eine gütlichen Einigung herbeizuführen. So kommt es zur Eskalation der Situation, in deren Folge sich Perowne mit körperlicher Gewalt konfrontiert sieht und der er nur mit Glück entfliehen kann. Doch nur physisch, denn gedanklich wird ihn dieses Ereignis den ganzen Tag verfolgen. Erstmalig musste er einen Angriff auf seine Person erleben. Und so wie ihm der Schlag auf das Sternum kurzzeitig zum Wanken brachte, gerät sein Weltbild ins Schwanken und er hat Mühe, es wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Meisterhaft gelingt es McEwan, den Leser am Wanken der Grundfesten im Leben des Henry Perowne teilhaben zu lassen. Dabei lässt er nicht nur tiefe Einblicke in die Seelenlandschaften seines Protagonisten zu, sondern baut eine zugleich spannungsgeladene Handlung auf, die mit einem unerwarteten Höhepunkt ihr vorläufiges Ende findet.
Henry Perowne wird dem Leser lange im Gedächtnis bleiben. Mit ihm hat Ian McEwan eine Figur der Weltliteratur geschaffen, die sich würdig neben Leopold Bloom und Mrs Dalloway einreiht. Torsten Seewitz, 07.08.2005

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