Die englische
Landschaft ist bezaubernd und hält für den, der bereit ist,
ihre Schönheit zu erkunden, so manche Überraschung bereit.
Nicht nur ferne Gegenden faszinieren ob ihrer Exotik, nein
auch die verregnete englische Provinz vermag, von Fernweh
geplagte in ihren Bann zu ziehen.
So
auch den Helden aus Magnus Mills neuem Roman "Indien kann
warten", denn eigentlich wollte dieser mit dem Motorrad
nach Indien fahren. Eine Art Selbstfindungstour stand ihm im
Sinn. Doch wozu Tausende Kilometer fahren, wenn das Glück in
der Nähe zu finden ist. Mit Nähe ist hier ein idyllisch
gelegener Campingplatz im Nordwesten Englands gemeint, der nur
ein Zwischenstopp sein sollte, aber für die Dauer eines
Jahres zum neuen Wohnsitz für den namenlosen Protagonisten werden
sollte. Der Herbst nahte und eines Tages waren alle Gäste
abgereist, nur er blieb zurück. Mr. Parker, der
Platzbesitzer, unterbreitete ihm ein lukratives Angebot, denn
er könne für ein paar kleine Aushilfsarbeiten noch einige
Tage bleiben. Aus den paar Tagen wurden bald Wochen und Mills'
Held fühlte sich in seiner Rolle als Hilfsarbeiter für Mr.
Parker wohl. Das Tor zu streichen war ein Spaziergang und auch
Anstreichen des Bootsschuppens an der Anlegestelle am See.
Sogar dessen Tochter nahm seine Hilfe bei der Erledigung ihrer
Hausaufgaben in Anspruch. Alle waren so nett zu ihm und recht
bald hatte er das Gefühl, zur Dorfgemeinschaft zu gehören.
Er brauchte sogar nicht bezahlen, weder im Pub bei den
abendlichen Dart-Wettkämpfen der Dorfbewohner noch beim
Einkauf. Geld schien hier nicht wichtig zu sein, alles wurde
angeschrieben. Sein Ansehen wuchs mit der Zeit und die ihm
übertragenden Aufgaben erforderten immer mehr Einsatz. Er
merkte gar nicht wie die Zeit verging, der Winter stand vor
der Tür. Doch Indien kann warten, dachte er.
Magnus Mills wäre nicht Magnus Mills wenn er seine Geschichte
nicht mit hintergründigem Humor erzählen würde. Wie bereits
in seinem ersten Roman "Herren der Zäune" beweist
Mills auch hier sein Gespür für Komik, groteske
Verwicklungen und witzige Dialoge. In "Indien kann
warten" verwickelt sich sein Held unmerklich immer tiefer in
Abhängigkeiten. Seitens seines Arbeitgebers und auch der
Bewohner werden Erwartungen aufgebaut, die er nicht erfüllen
kann und deshalb von einem Fettnapf in den nächsten tritt.
Mills beschreibt hier auf gekonnte Weise dieses Phänomen,
welches jeder Mensch mit Sicherheit in seinem Leben einmal
selbst erfährt bzw. erfahren hat.
Der jugendliche Held in Mills Roman will stets das Beste, doch
wird er wegen seiner Gutmütigkeit schamlos ausgenutzt und
erhält als Dank letzten Endes Hohn und Spott.
©Torsten Seewitz, 27.05.2002 |