Als der
junge Ich-Erzähler den blinden Musikkritiker Marius van
Vlooten am Abfertigungsschalter des Flughafens Schiphol
wiedertrifft, zögerte er einen Moment, ihn
anzusprechen. Er hatte ihn als sehr ungehalten in
Erinnerung, was er auf eine Jugendtorheit van Vlootens
zurückführte, als dieser sich aus Liebeskummer eine
Kugel in den Kopf schoss, wie durch ein Wunder
überlebte, jedoch sein Augenlicht verlor.
Wider Erwarten erinnerte sich der alte Kritiker an ihn,
hatten sie damals vor zehn Jahren mehrere Tage in
Bordeaux während eines Meisterkurses zusammen
verbracht.
Seinerzeit hatte der Ich-Erzähler van Vlooten die junge
Geigerin mit Namen Suzanna Flier bekannt gemacht und
äußerst lebendig beschrieben, dass dessen Gedanken
nicht mehr von ihr lassen konnten. Als der Kritiker sie
dann die erste Geige in Janáceks
"Kreutzersonate" spielen hört, war es um ihn
geschehen.
Die
Anziehung schien gegenseitig zu sein, denn sehr bald
entwickelte sich aus banalen Gesprächen und
vorsichtiger Annäherung eine tiefe Zuneigung.
Nach Ende des Meisterkurses verlor der Ich-Erzähler van
Vlooten und seine junge Geliebte aus den Augen, bis er
ihm an jenem Tag in Schiphol wiederbegegnete und
während sie auf ihren Flug nach Salzburg warteten, die
Geschichte einer tragischen Liebe zu hören bekam.
Margriet de Moor variiert in ihrem jüngsten Roman
kunstvoll das uralte literarische Motiv von Liebe und
der zerstörerischen Kraft der Eifersucht, die zwei
Menschen aneinander verzweifeln lässt. In der ihr
eigenen gefühlvollen Weise spürt sie den
verschlungenen Pfaden der Liebe nach, um so dem Leser
ein detailliertes Gefühlspanorama ihrer Protagonisten
zu vermitteln.
Äußerst gelungen verwebt sie das Grundthema aus
Tolstois Novelle "Kreutzersonate" mit dem
musikalischen Vorbild, Beethovens
"Kreutzersonate" und der späteren
Interpretation durch den tschechischen Komponisten
Janácek miteinander und schafft so das stimmungsvolle
Bild einer unglückliches Liebesbeziehung, die durch
krankhafte Eifersucht einem verhängnisvollen Ende
zustrebt.
Schade, dass der Roman nicht ohne einige erzählerische
Längen auskommt, doch werden diese durch dessen
bewundernswerte Komposition wettgemacht.
Es ist erstaunlich, wie Margriet de Moor es gelingt,
ihre Inspiration durch Janáceks Streichquartett derart
stimmungsvoll literarisch umzusetzen, dass man
stellenweise die Kraft der Musik zu spüren glaubt.
©Torsten Seewitz, 29.01.2003 |