Ganz
klassisch beginnt Cess Nooteboom seinen neuesten Roman
mit einem Prolog; und wie in Goethes „Faust“ spielt
diese Szene sogar im Himmel. Genauer in einem Flugzeug,
auf dem Weg von Friedrichshafen nach Berlin. Doch nicht
Goethe steht bei Nootebooms Roman Pate, sondern John
Miltons Versepos „Das verlorene Paradies“, konkret
die Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies.
Ein Schriftsteller und gleichzeitig der Erzähler der
Geschichte beobachtet neugierig eine vor ihm sitzende
junge Frau, wie sie ein in karmesinrotes Papier
eingewickeltes Buch auspackt. Er kann den Titel nicht
genau erkennen, doch er meint „Paradies verloren“ zu
lesen, ein von ihm geschriebenes Buch. Es ist genau
jenes Buch, welches der Leser, also sie, in diesem
Moment in ihren Händen halten.
Mit diesem fulminanten Einstieg beginnend, erzählt
Nooteboom die nun folgenden zwei Geschichten: Zum einen
ist es die von Almut und Alma. Beide sind eng befreundet
und leben seit Jahren in Sao Paulo. Als Alma, weil sie
unvorsichtig genug war allein in eines der Armenviertel
Sao Paulos zu fahren, vergewaltigt wird, beschließen
beide Brasilien zu verlassen und ihren Traum von einer
Reise nach Australien zu verwirklichen.
Dort angekommen, präsentiert sich ihnen jedoch eine
andere Wirklichkeit als die erwartete. Nur noch wenig
scheint von der mythenhaften Welt der Ureinwohner übrig
zu sein. Sie reisen quer durch den Kontinent und suchen
nach den Spuren vergangenen Lebens.
Ihre Reise führt sie letzten Endes nach Perth, wo sie
im Rahmen eines Theaterprojekts Arbeit als Engel finden.
Hier gewinnt die Geschichte ihren magischen Charakter
vom Anfang zurück, denn Cees Nooteboom findet
traumhafte Bilder, um davon zu erzählen.
Der zweite Teil des Romans hat den Amsterdamer Kritiker
Erik Zondag zur zentralen Figur. Mit seinem Leben nicht
sonderlich zufrieden, versucht er mit einer Fastenkur in
Österreich seinem Leben einen neuen Impuls zu
versetzen. Wider Erwarten trifft er eines Tages, in der
abgeschlossenen Welt der Kurklinik, auf einen verloren
geglaubten Menschen.
Wer dies ist, sei hier nicht gesagt, doch gelingt es
Cees Nooteboom die zwei Ebenen seines Romans auf
wunderbare Weise zu verschränken. Hier zeigt sich die
Klasse der Autors, der mit nur scheinbar leichter Hand
eine Geschichte geschrieben hat, deren tieferer Sinn
sich erst mit dem Epilog erschließt.
Eine Liebesgeschichte? Ja. Und was für eine, möchte
man nach der Lektüre ausrufen. Doch leider gehören
Engel nicht zu Menschen. Torsten Seewitz, 12.08.2005 |