„Lieber Gott, befreie
uns von den lebenden Autoren!" Der
Wunsch eines Wahnsinnigen? Sie können beruhigt sein, es handelt sich hierbei
nur um den Ausruf eines verzweifelten Übersetzers. Er heißt übrigens Gilles,
hat die Fünfzig bereits überschritten und ist im ganzen eine wunderliche
Erscheinung. Nach dem Tod seines Freundes Jean Cocteau, trieb ihn die
Traurigkeit aus Paris und auf die Suche nach einem neuen Wohnsitz.
Nach langem Umherirren ward eine traumhafte Insel gefunden, „ein Stück
Sardinien im Ärmelkanal", deren idyllische Natur, seinen neuen Bewohner
aus dem Stimmungstief befreien sollte.
Mit viel Witz und Ironie erzählt Erik Orsenna die nun folgende, wahre
Geschichte des Übersetzers Gilles, der wider besseres Wissen den Auftrag
angenommen hatte, Nabokovs Roman „Ada oder Das Verlangen" ins
Französische zu übertragen. Für einen gestandenen Mann mit jahrelanger
Berufserfahrung kein Problem– so sollte man meinen. Doch weit gefehlt. Gilles,
mittlerweile Herr über 47 Katzen, hat sich heimatlich auf der Insel
eingerichtet, von Wehmut und Lethargie keine Spur. Er ist es leid, einem
Seeräuber gleich, ein „Buch zu kapern", die gesamte Sprache
auszuwechseln und es dann Französisch zu taufen.
Jahre vergehen und Gilles hat noch keine Zeile des Nabokovschen Werkes
übersetzt. Wen wundert es, glaubt man den von Orsenna eingeschobenen Zitaten
aus Nabokovs Briefen, die jede den Autor zufriedenstellende Übersetzung
unmöglich erscheinen lassen.
Dennoch wird der Zustand der Untätigkeit immer prekäre. Die Briefe seines
Verlegers erreichen ihn in immer kürzeren Abständen und als sich ein
Verlagsvertreter ansagt, scheint alles zu spät.
In einer einzigartigen, grotesk wirkenden Aktion werden alles des Englischen
mächtigen Bewohner und Gäste der Insel mobilisiert, das Manuskript zu
übersetzen. Schier unglaublich scheint dieses Unterfangen und bis zur letzten
Minute muß der Leser um den Erfolg des Vorhabens bangen. © Torsten
Seewitz,16.05.2000 |