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Hans Pleschinski
"Bildnis eines Unsichtbaren"
Hanser Verlag München 2003
271 S.; 19,90 Euro

Ein Gespenst geht um auf der Welt, die Geißel der modernen Menschheit Namen AIDS. Als das Virus zu Beginn der 1980er Jahre, wahrscheinlich vom afrikanischen Kontinent ausgehend, erstmals in den USA auftrat, war das sorgenfreie, ausschweifende Leben unter den Homosexuellen mit einem Schlag vorbei. Sex wurde zum lebensbedrohlichen Risiko. Millionen von Menschen sind seither an AIDS gestorben und werden sicherlich noch daran sterben, vor allem in den Ländern der sogenannten "Dritten Welt". 
Unendlich ist die Anzahl schicksalhafter Biographien, die ungehört verklingen würden, gäbe es nicht Schriftsteller, die versuchten, das Leiden öffentlich zu machen. Am bekanntesten dürften hier die Erinnerungen von Hervé Guibert, der in seinen "Mitleidsprotokollen" bereits Mitte der 1980er Jahre von seinem Schicksal und dem seiner Freunde erzählte.
Nun hat Hans Pleschinski mit "Bildnis eines Unsichtbaren" dem weltweiten Trauerchor eine weitere Stimme hinzugefügt. Jedoch entwickelt sich sein Erinnerungsbuch an den Lebenspartner nicht als schwermütige Elegie, sondern zu einem Stück lebensbejahender Literatur. 
In der norddeutschen Provinz aufgewachsen und das eigene Coming Out nicht verleugnend, wagt sich Pleschinski recht bald zu ersten Abenteuern. Paris soll sein Ziel sein, der "Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden "schlechthin. Gerade neunzehn Jahre alt, lernt er Serge kennen und erhält durch ihn Einlass in den begehrten Kreis französischer Intellektueller. Sie waren jung, Angst und Sorgen kannten sie nicht. Das Leben um jeden Preis genießen, ganz nach Vorbild Ludwigs XIV., dessen Schloß Versaille für beide zum Innbild sinnenfrohen Lebens wurde.
Nun, fünfundzwanzig Jahre später, erinnert sich Hans Pleschinski an diese Zeit, die so prägend auf sein späteres Leben wirkte. Damals kannte er Volker Kinnius noch nicht, seine große Liebe. Ihm vor allem ist dieses Buch gewidmet und allen Freunden, die seither an AIDS gestorben sind.
Damals, als H.P. Volker kennen lernte, war dieser gerade dabei sich eine Karriere als Gallerist in München aufzubauen. Mit wachsendem Erfolg entsprach er dem Bild eines Bohemiens durch und durch, und doch war er ganze Gegenteil seines Lebensgefährten. Dass beide über Jahrzehnte dennoch ein Paar blieben, hat wohl mit viel Vertrauen in den anderen zu tun und einer vorurteilsfreien, nicht einengenden Liebe, die jedem den Freiraum zum Leben lies, den er benötigte. So wohnten beide bis zu Volkers Tod auch in getrennten Wohnungen, wenn auch im gleichen Haus.
Es ist beeindruckend zu lesen, mit welchem Feingefühl Pleschinski die Geschichte seines Partners und die ihres gemeinsamen Lebens erzählt, die zugleich eine kleine Polit- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik geworden ist. Viele bekannte Persönlichkeiten  tauchen auf. So protegierte Volker die Wiederentdeckung des deutschen Magischen Realisten Edgar Ende, dem Vater vom Michael Ende und organisiert zahlreiche Ausstellungen seiner einzigartigen Gemälde.
Gekonnt vermischt Pleschinski in seinem als Roman bezeichneten Buch real Erlebtes mit einem fiktionalen inneren Dialog, den er mit dem verstorbenen Volker führt - ein gelungener Kunstgriff, um bislang Unausgesprochenes nachzuholen, nochmals Gedanken und Erinnerungen auszutauschen. © Torsten Seewitz, 04.06.2003

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