Ein
Gespenst geht um auf der Welt, die Geißel der modernen
Menschheit Namen AIDS. Als das Virus zu Beginn der
1980er Jahre, wahrscheinlich vom afrikanischen Kontinent
ausgehend, erstmals in den USA auftrat, war das
sorgenfreie, ausschweifende Leben unter den
Homosexuellen mit einem Schlag vorbei. Sex wurde zum
lebensbedrohlichen Risiko. Millionen von Menschen sind
seither an AIDS gestorben und werden sicherlich noch
daran sterben, vor allem in den Ländern der sogenannten
"Dritten Welt".
Unendlich ist die Anzahl schicksalhafter Biographien,
die ungehört verklingen würden, gäbe es nicht
Schriftsteller, die versuchten, das Leiden öffentlich
zu machen. Am bekanntesten dürften hier die
Erinnerungen von Hervé Guibert, der in seinen
"Mitleidsprotokollen" bereits Mitte der 1980er
Jahre von seinem Schicksal und dem seiner Freunde
erzählte.
Nun hat Hans Pleschinski mit "Bildnis eines
Unsichtbaren" dem weltweiten Trauerchor eine
weitere Stimme hinzugefügt. Jedoch entwickelt sich sein
Erinnerungsbuch an den Lebenspartner nicht als
schwermütige Elegie, sondern zu einem Stück
lebensbejahender Literatur.
In der norddeutschen Provinz aufgewachsen und das eigene
Coming Out nicht verleugnend, wagt sich Pleschinski recht
bald zu ersten Abenteuern. Paris soll sein Ziel sein,
der "Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden
"schlechthin. Gerade neunzehn Jahre alt, lernt er
Serge kennen und erhält durch ihn Einlass in den
begehrten Kreis französischer Intellektueller. Sie
waren jung, Angst und Sorgen kannten sie nicht. Das
Leben um jeden Preis genießen, ganz nach Vorbild
Ludwigs XIV., dessen Schloß Versaille für beide zum
Innbild sinnenfrohen Lebens wurde.
Nun, fünfundzwanzig Jahre später, erinnert sich Hans
Pleschinski an diese Zeit, die so prägend auf sein
späteres Leben wirkte. Damals kannte er Volker Kinnius
noch nicht, seine große Liebe. Ihm vor allem ist dieses
Buch gewidmet und allen Freunden, die seither an AIDS
gestorben sind.
Damals, als H.P. Volker kennen lernte, war dieser gerade
dabei sich eine Karriere als Gallerist in München
aufzubauen. Mit wachsendem Erfolg entsprach er dem Bild
eines Bohemiens durch und durch, und doch war er ganze
Gegenteil seines Lebensgefährten. Dass beide über
Jahrzehnte dennoch ein Paar blieben, hat wohl mit viel
Vertrauen in den anderen zu tun und einer
vorurteilsfreien, nicht einengenden Liebe, die jedem den
Freiraum zum Leben lies, den er benötigte. So wohnten
beide bis zu Volkers Tod auch in getrennten Wohnungen,
wenn auch im gleichen Haus.
Es ist beeindruckend zu lesen, mit welchem Feingefühl
Pleschinski die Geschichte seines Partners und die ihres
gemeinsamen Lebens erzählt, die zugleich eine kleine
Polit- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik geworden
ist. Viele bekannte Persönlichkeiten tauchen auf.
So protegierte Volker die Wiederentdeckung des deutschen
Magischen Realisten Edgar Ende, dem Vater vom Michael
Ende und organisiert zahlreiche Ausstellungen seiner
einzigartigen Gemälde.
Gekonnt vermischt Pleschinski in seinem als Roman
bezeichneten Buch real Erlebtes mit einem fiktionalen
inneren Dialog, den er mit dem verstorbenen Volker
führt - ein gelungener Kunstgriff, um bislang
Unausgesprochenes nachzuholen, nochmals Gedanken und
Erinnerungen auszutauschen. © Torsten Seewitz, 04.06.2003 |