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Martin Pollack
"Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Holzmann"
Zsolnay Verlag Wien München 2002
324 S.; 21,50 Euro
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Die Gegend des Tiroler Zillertals im österreichischen Teil der Alpen ist seit vielen Jahrzehnten beliebt bei Bergwanderern ob ihrer schönen Natur und den unzähligen Möglichkeiten, die Welt der Berge zu erkunden. Nicht selten passiert es jedoch, dass unvorsichtige Touristen die Pfade verlassen und damit ihr Leben gefährden. So wundert es nicht, dass die hiesige Presse des öfteren von toten oder verletzten Feriengästen berichten muss, die die Gefahren des Bergsteigens unterschätzt hatten. So geschehen auch im September 1928, als ein ungeklärter Todesfall die Gemüter Tirols erhitzte. 
Am Morgen des 8.September 1928 begaben sich der Rigaer Zahnarzt Murdoch Halsmann und sein Sohn Philipp, Student der Elektrotechnik in Dresden, auf eine gemeinsame Bergtour, die sie in das malerische Zillertal führten sollte. Zwischenstation machten sie im Alpengasthof Breitlahner, wo sie die Nacht verbrachten, um am nächsten Morgen ihren ersten Dreitausender zu besteigen. 
Argwöhnisch, teilweise belustigt ob ihrer "gänzlich unalpinen" Ausrüstung von zahlreichen Bergwanderern beobachtet, kämpften sich Vater und Sohn an ihr Ziel, dem Schönbichlerhorn. Obgleich von Murdoch Halsmann gegenüber seinen Sohn verleugnet, machte ihm sein schwaches Herz zu schaffen, weshalb sie sich sehr bald wieder auf den Rückweg zum Hotel machten.
Nur wenige Zeit später passierte dann das Unglück. Atemlos traf Philipp Halsmann, nach Hilfe suchend, auf zwei Damen, denen er vollkommen verstört mitteilte, sein Vater sei abgestürzt und er dringend einen Arzt benötige.
Wie es zum Absturz des Vaters kam, daran konnte sich Philipp Holzmann nur insoweit erinnern, als dass er wenige Schritte voraus gegangen sei und plötzlich einen Aufschrei hörte. Er habe seinen Vater nur noch stürzen sehen, ohne ihm helfen zu können. Gegenüber der Gendarmerie beteuerte er später, keinen anderen Menschen in der Nähe bemerkt zu haben. Ein unglücklicher Umstand, da sich nunmehr die Frage stellte, ob ein hinterlistiger Mord oder ein Unfall zum Tod des Murdoch Halsmann führte. Für die ortsansässige Gendarmerie schien der Täter bereits festzustehen, denn sie nahm Philipp Holzmann wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. 
Dieser beteuerte jedoch stets seine Unschuld, in der Hoffnung, dass sich dieser Irrtum bald aufklären würde. Nicht genug, dass er seinen Vater verloren hatte, jetzt wurde er noch verdächtigt, ihn hinterrücks umgebracht zu haben. Ein Verdacht, der schwer zu entkräften schien, obgleich alle Beweise nur auf Indizien und recht widersprüchlichen Zeugenaussagen beruhten. 
Der Fall Holzmann beherrschte im Österreich der 1920er Jahre die Medien. Selten wurde ein Gerichtsfall so vehement und konträr in der Bevölkerung diskutiert. Die einen standen auf Seiten Philipp Holzmanns und hielten ihn für unschuldig, die anderen sahen in ihm den kaltblütigen Mörder. Nicht selten spielte hierbei der aufkeimende Antisemitismus und das Fortschreiten der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich eine bedeutende Rolle. 
Martin Pollack hat sich in seinem Buch einem Thema gewidmet, welches über Jahre nicht nur Österreich, sondern auch die gesamte Presse anderer Länder in Atem hielt. Zahlreiche zeitgenössische Prominente, so auch Thomas Mann,  setzten sich für die Freilassung des, nach ihrer Meinung unschuldig verurteilten, Philipp Holzmann ein. Obwohl ein Gericht den Sohn nur auf Grund von Indizien für schuldig erklärte, trat die Wahrheit über diesen unglückseligen Tag niemals ans Licht.
Ein großes Verdienst dieses Buches ist es, dass Pollack nicht nur einseitig und chronologisch Fakten aneinander reiht, sondern es äußerst gekonnt versteht, die Geschichte allumfassend betrachtet zu erzählen. Der Autor beschränkt sich nicht nur auf die Wiedergabe von historischen Zeugnissen, vielmehr wagt er ein Blick in die Innenwelt des Angeklagten, ohne jedoch Partei zu ergreifen. Man spürt auf jeder Seite das Verlangen Pollacks, hinter das Geheimnis dieses mysteriösen Todesfalls zu gelangen, doch konnte auch er sich nur auf vorhandenes Quellenmaterial stützten. 
"Anklage Vatermord" liest sich wie ein glänzend geschriebener Roman, der stellenweise vergessen lässt, dass es sich hierbei um einen realen Kriminalfall handelt. 
Übrigens wurde Philipp Holzmann nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis ein überaus erfolgreicher Fotograf in den USA. Über die damalige Zeit hat er nie wieder ein Wort verloren. ©Torsten Seewitz, 28.01.2003

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