Die
Gegend des Tiroler Zillertals im österreichischen Teil
der Alpen ist seit vielen Jahrzehnten beliebt bei
Bergwanderern ob ihrer schönen Natur und den
unzähligen Möglichkeiten, die Welt der Berge zu
erkunden. Nicht selten passiert es jedoch, dass
unvorsichtige Touristen die Pfade verlassen und damit
ihr Leben gefährden. So wundert es nicht, dass die
hiesige Presse des öfteren von toten oder verletzten
Feriengästen berichten muss, die die Gefahren des
Bergsteigens unterschätzt hatten. So geschehen auch im
September 1928, als ein ungeklärter Todesfall die
Gemüter Tirols erhitzte.
Am Morgen des 8.September 1928 begaben sich der Rigaer
Zahnarzt Murdoch Halsmann und sein Sohn Philipp, Student
der Elektrotechnik in Dresden, auf eine gemeinsame Bergtour,
die sie in das malerische Zillertal führten sollte.
Zwischenstation machten sie im Alpengasthof Breitlahner,
wo sie die Nacht verbrachten, um am nächsten Morgen
ihren ersten Dreitausender zu besteigen.
Argwöhnisch, teilweise belustigt ob ihrer
"gänzlich unalpinen" Ausrüstung von
zahlreichen Bergwanderern beobachtet, kämpften sich
Vater und Sohn an ihr Ziel, dem Schönbichlerhorn.
Obgleich von Murdoch Halsmann gegenüber seinen Sohn
verleugnet, machte ihm sein schwaches Herz zu schaffen,
weshalb sie sich sehr bald wieder auf den Rückweg zum
Hotel machten.
Nur wenige Zeit später passierte dann das Unglück.
Atemlos traf Philipp Halsmann, nach Hilfe suchend, auf
zwei Damen, denen er vollkommen verstört mitteilte,
sein Vater sei abgestürzt und er dringend einen Arzt
benötige.
Wie es zum Absturz des Vaters kam, daran konnte sich
Philipp Holzmann nur insoweit erinnern, als dass er
wenige Schritte voraus gegangen sei und plötzlich einen
Aufschrei hörte. Er habe seinen Vater nur noch stürzen
sehen, ohne ihm helfen zu können. Gegenüber der
Gendarmerie beteuerte er später, keinen anderen
Menschen in der Nähe bemerkt zu haben. Ein
unglücklicher Umstand, da sich nunmehr die Frage
stellte, ob ein hinterlistiger Mord oder ein Unfall zum
Tod des Murdoch Halsmann führte. Für die
ortsansässige Gendarmerie schien der Täter bereits
festzustehen, denn sie nahm Philipp Holzmann wegen
Mordverdachts in Untersuchungshaft.
Dieser beteuerte jedoch stets seine Unschuld, in der
Hoffnung, dass sich dieser Irrtum bald aufklären
würde. Nicht genug, dass er seinen Vater verloren
hatte, jetzt wurde er noch verdächtigt, ihn
hinterrücks umgebracht zu haben. Ein Verdacht, der
schwer zu entkräften schien, obgleich alle Beweise nur
auf Indizien und recht widersprüchlichen Zeugenaussagen
beruhten.
Der Fall Holzmann beherrschte im Österreich der 1920er
Jahre die Medien. Selten wurde ein Gerichtsfall so
vehement und konträr in der Bevölkerung diskutiert.
Die einen standen auf Seiten Philipp Holzmanns und
hielten ihn für unschuldig, die anderen sahen in ihm
den kaltblütigen Mörder. Nicht selten spielte hierbei
der aufkeimende Antisemitismus und das Fortschreiten der
nationalsozialistischen Bewegung in Österreich eine
bedeutende Rolle.
Martin Pollack hat sich in seinem Buch einem Thema
gewidmet, welches über Jahre nicht nur Österreich,
sondern auch die gesamte Presse anderer Länder in Atem
hielt. Zahlreiche zeitgenössische Prominente, so auch
Thomas Mann, setzten sich für die Freilassung
des, nach ihrer Meinung unschuldig verurteilten, Philipp
Holzmann ein. Obwohl ein Gericht den Sohn nur auf Grund
von Indizien für schuldig erklärte, trat die Wahrheit
über diesen unglückseligen Tag niemals ans Licht.
Ein großes Verdienst dieses Buches ist es, dass Pollack
nicht nur einseitig und chronologisch Fakten aneinander
reiht, sondern es äußerst gekonnt versteht, die
Geschichte allumfassend betrachtet zu erzählen. Der
Autor beschränkt sich nicht nur auf die Wiedergabe von
historischen Zeugnissen, vielmehr wagt er ein Blick in
die Innenwelt des Angeklagten, ohne jedoch Partei zu
ergreifen. Man spürt auf jeder Seite das Verlangen
Pollacks, hinter das Geheimnis dieses mysteriösen
Todesfalls zu gelangen, doch konnte auch er sich nur auf
vorhandenes Quellenmaterial stützten.
"Anklage Vatermord" liest sich wie ein
glänzend geschriebener Roman, der stellenweise
vergessen lässt, dass es sich hierbei um einen realen
Kriminalfall handelt.
Übrigens wurde Philipp Holzmann nach seiner Freilassung
aus dem Gefängnis ein überaus erfolgreicher Fotograf
in den USA. Über die damalige Zeit hat er nie wieder
ein Wort verloren. ©Torsten Seewitz, 28.01.2003 |