Als der
junge französische Pianist zu einem Chopin-Wettbewerb
nach Warschau fliegt, ahnte er noch nicht, welche
Bedeutung er dieser Reise für sein weiteres Leben
beimessen würde. Auch Musik kann eine Waffe sein,
doch davon ahnte der junge Mann zu diesem Moment noch
nichts. Bereits der Flug nach Polen begann mit einer
Merkwürdigkeit, denn er lernte den polnischen
Premierminister kennen, der nachdem sie gelandet waren,
von einer wütenden Menge mit "Jude, Jude"
beschimpft wurde.
In Warschau begrüßte ihn der große Pianist Pietr
Ostreich, der ihn zu diesem Wettbewerb eingeladen und in
diesem Jahr den Vorsitz über die Jury hatte. Seit mehr
als fünfzehn Jahren wurde bei diesem Wettbewerb kein
erster Preis mehr vergeben. Also von vornherein
ein hoffnungsloses Unterfangen, daran teilzunehmen?
Pourriols Protagonist lässt sich davon jedenfalls nicht
beeindrucken. Im Gegenteil, statt stundenlang zu üben,
sucht er die Bestätigung bei den ihn umgebenen Frauen,
sei es die Tochter der Gastfamilie, die junge
Zeitungsverkäuferin oder die unnahbare
Journalistin.
Während des Wettbewerbs trifft der junge Pianist auf
den alten Zakhor, einem Mann ohne Hände, der ihn
zugleich fasziniert und doch abstößt. Von Zakhor wird
gesagt, er hätte das Konzentrationslager mit Hilfe des
Klavierspiels überlebt. Doch weshalb er seine Hände
verlor, weiß der junge Mann zu diesem Zeitpunkt noch
nicht. Erst am Ende des Romans wird dessen
schicksalhafte Geschichte aufgeklärt.
Als des jungen Pianisten Konkurrent tritt Ergo Zeitos
auf, ein fanatischer Klavierspieler, der bereits als
heimlicher Sieger des Wettbewerbs gefeiert wird.
Stundenlang übt er seine Partituren, doch wider
Erwarten nicht die Chopins, sondern den
"Mephistowalzer" von Franz Liszt.
Ollivier Pourriol hat mit seinem Debüt einen Roman
verfasst, der auf den ersten Blick eine
Kriminalgeschichte in sich birgt, dessen Thema jedoch
darüber hinaus geht. Es sind diese die zahlreichen
Anspielungen auf das Schicksal der polnischen Juden zur
Zeit des Zweiten Weltkrieges, die eng mit der Geschichte
Zakhors und die Ostreichs verbunden sind.
Es geht ein teuflischer Zauber von diesem Roman aus, der
den Leser mit fortschreitender Handlung immer tiefer in
eine mysteriöse Geschichte um Schuld und Sühne
hineinzieht.
Es sind nicht nur die unglücklichen Verstrickungen des
jungen Pianisten, sondern vielmehr dessen Eindringen in
eine Geschichte voller Rätsel und unausgesprochener
Anspielungen. Der Wettbewerb dient hierbei nur als
dramaturgisches Element, vor dessen Hintergrund die
verhängnisvollen Biographien Ostreichs, Zakhors, Zeitos'
und die des jungen Pianisten zusammenlaufen. Dass es
letzten Endes die Musik ist, die den Tod eines der
Protagonisten herbeiführt, ist aus meiner Sicht, zwar
recht konstruiert, schmälert aber nicht die Wirkung der
Geschichte, die der Leser darauf hin erfährt.
©Torsten Seewitz, 04.12.2002 |