Nach seiner furiosen Biographie über Gottfried Benn
veröffentlicht Fritz J. Raddatz im Jahr seines 70.Geburtstages noch ein
weiteres Buch. Nicht wie gewohnt im Rowohlt-, sondern bei seinem neuen
Verlag, dem Züricher Arche-Verlag erschien im Sommer 2001 "Ich habe
dich anders gedacht". Eine ungemein sprachgewaltige Erzählung, in
den verhängnisvollen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielend.
Achim Moesgaard, Protagonist der Erzählung, erinnert sich an seine Kindheit in
Berlin. Da ist einerseits die idyllische Villa am Wannsee seines Onkels
Sami, andererseits die düstere
Wohnung in Tempelhof mit dem wortkargen
Vater. Nur bei seinem Onkel kann er zeitweise die Wirklichkeit vergessen,
eine Welt, in der er von seine Klassenkameraden ob seiner strubbligen
schwarzen Haare gehänselt wird. Doch die Möglichkeit zu beweisen, dass
Achim genauso wie die anderen ist, ergibt sich bald, als der neue
Sportlehrer mit Namen Jagdfuchs an die Schule kommt. Die Zeiten haben sich
geändert. Onkel Sami ist plötzlich verschwunden und der neue Sportlehrer
versteht es, die Jungen für die Ideale der neuen Machtinhaber zu
begeistern. Achim ist von Jagdfuchs begeistert; endlich kann er seinen
Klassenkameraden zeigen, was in ihm steckt.
Als Achim mit seiner Mutter in Paris weilt, um Onkel Sami zu besuchen,
erzählt er diesem begeistert von seinem neuen Ideal und seinem Stolz,
Mitglied der Hitlerjugend zu werden. Doch nicht wohlwollende Begeisterung
begegnet ihm, sondern ein reservierter Onkel, der sich seinen kleinen
Achim anders gedacht hatte.
Fritz J. Raddatz erzählt in einer ungemein fesselnden Sprache, nahezu
atemlos, zwischen Traumsequenzen und Erinnerungen wechselnd, die
Geschichte einer Verführung; einer Verführung, wie sie Tausende erlebt
haben und die unweigerlich in den Untergang führte. Wie mit einem
Skalpell seziert Raddatz die Psyche seines Helden, wortgewaltig und an den
Erzählstil der Expressionisten erinnernd. Ein kleines Meisterwerk!
© Torsten Seewitz, 30.12.2001 |