Als Atiq
Rahimis erster Roman "Erde und Asche" 1999 erstmals
in Frankreich erschien, nahm die Öffentlichkeit wenig Notiz
von ihm. Die Schlagzeilen, die sein Land zur Zeit der
sowjetischen Invasion in die Schlagzeilen brachte, waren
selten geworden und vom unsäglichen Leid des afghanischen
Volkes wollte kaum noch jemand etwas hören. Erst als die
Attentate in New York und Washington am 11. September des
vergangene Jahres die Welt aufschreckten, rückte auch das
Land im Hindukusch wieder in den Mittelpunkt des
weltpolitischen Interesses.
Mit
einem Mal wurde auch der Autor Rahimi wahrgenommen und seinem
Roman wurde endlich die Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil,
die er verdient hat.
Rahimi führt den Leser in die 1980er Jahre, in eine Zeit, in
der Bombenangriffe durch die sowjetische Armee in Afghanistan
an der Tagesordnung waren. Unzählige Tote, darunter Tausende
Zivilisten, waren zu beklagen. Den Überlebenden dieses
Terrors gibt der Autor nun eine Stimme.
Der alte Dastagir ist mit
seinem Enkel Yassin auf dem Weg zu seinem Sohn, der im Norden
des Landes in einer Kohlegrube arbeitet, um ihm die
schreckliche Nachricht vom Tod seiner Familie zu überbringen.
Sowjetische Truppen hatten sein Dorf in einer
Vergeltungsaktion niedergebombt. Niemand außer den beiden hat
überlebt. Als wäre der Schmerz über den Verlust der Familie
nicht schon stark genug, muss Dastagir mit ansehen, wie sein,
durch den Bombenhagel taub gewordener Enkel, sein Schicksal
nicht verstehend, durch die Welt irrt.
Nun warten Großvater und Enkel an einer staubigen Landstraße
auf einen Lkw, der sie zur Kohlegrube bringen soll.
Gedankenverloren sinniert der alte Dastagir über sein
Schicksal und das seines Volkes, doch viel größer als sein
Kummer ist die Angst, seinem einzigen Sohn die schreckliche
Nachricht überbringen zu müssen. Er weiß nicht, wie dieser
reagieren wir, fürchtet sogar, dass er vor Schmerz wahnsinnig
werden könnte.
Rahimi erzählt von dieser Zeit des Wartens und der
Ungewissheit in einer schlichten, aber eindringlichen Sprache.
Gleichnishaft verleiht er dem durch zahlreiche Schicksale und
zwanzig Jahren Krieg stumm gewordenen afghanischen Volk eine
Stimme, die zum einen von dem unsagbaren Leid erzählt, zum
anderen eine Abkehr von der radikalisierten Form des Islam hin
zu Friedfertigkeit und Liebe zu Gott fordert.
©Torsten Seewitz, 23.04.2002
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