Als Marcel Reich-Ranicki vor nahezu 2 Jahren seine Memoiren mit dem Titel
"Mein Leben" veröffentlichte, war das ungeheure Interesse der Leser
an Deutschlands prominentestem Literaturkritiker nicht absehbar. Und dieses
Interesse hält weiterhin an (soeben erschien bei dtv die
Taschenbuchausgabe dieses Bestsellers), obgleich die Popularität seiner Sendung
"Das Literarische Quartett", wohl wegen der teils frauenfeindlichen
Aussagen, abnimmt.
Ob seines medienwirksamen Auftretens entscheidet diese Sendung dennoch über
Aufstieg oder Untergangs eines Buches.
Wohl um die Mannigfaltigkeit des Engagements für die Literatur Marcel
Reich-Ranickis unter Beweis zu stellen, veröffentlichte nun der S. Fischer
Verlag einen Briefwechsel mit dem Sohn des
von ihm hochverehrten Thomas Mann, dem Historiker Golo Mann.
Anfänglich Golo Mann mit der Bitte um Beiträge für die Literaturbeilage der
"FAZ" schreibend, folgten später Briefe Reich-Ranickis, die das
Vater-Sohn-Verhältnis näher beleuchtet wissen wollten.
Interessant am Briefwechsel dieser "Enthusiasten der Literatur" ist
vor allem die Kunstfertigkeit ihres Schreibens, die Eleganz der Stils und die
sich darin spiegelnde gegenseitige Wertschätzung. Im Ton immer freundlich und
zuvorkommend, manchmal nahezu unterwürfig, ringt Reich-Ranicki Golo Mann
Artikel für seine "Frankfurter Anthologie" und Rezensionen
historischer Werke für das Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung" ab.
Und Golo Mann antwortet, manchmal nach langer Pause und immer seine Säumigkeit
betreffs der "Schreibschulden" entschuldigend. Zwischen 1967 und 1990
wechselten beide zahlreiche, mit den Jahren immer persönlicher werdende Briefe,
in denen sie sich ihre Liebe zur und ihr vehementen Einsatz für die Literatur
widerspiegelt.
Herausgeber Volker Hage bereichert den Briefwechsel mit einem umfangreichen,
leider unkommentierten, Anhang, der viele in den Briefen erwähnte Artikel,
Essays und Rezensionen im vollständigen Wortlaut dokumentiert.
Dem interessierten Leser offenbart sich so ein eindrucksvoller Einblick in die
Gedankenwelt zwei bedeutender deutscher Intellektueller des 20.Jahrhunderts.
©Torsten Seewitz, 04.01.2001
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