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André Schiffrin
"Verlage ohne Verleger. Über die Zukunft der Bücher"
Nachwort von Klaus Wagenbach
Wagenbach Berlin 2000
125 S., 8,90 €

Als im Frühsommer diesen Jahres der S. Fischer Verlag in einem Manifest seine zukünftige Verlagspolitik darstellte, ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die deutsche Buchbranche. Ein renommiertes Wirtschaftsinstitut wurde von der Holtzbrinck-Konzernleitung beauftragt, solch sensible Strukturen wie es Verlage nun einmal sind, auf Rentabilität und mögliche Renditechancen zu überprüfen. Betriebswirtschaftliche Maßstäbe erhalten den Vorzug, Lektoren werden in Folge zu Managern, die die Vermarktung des Produktes Buch übernehmen. Es ist unbestritten, dass auch ein Verlag wirtschaftlich arbeiten muss, doch ist absehbar, dass sich diese Form von Umstrukturierung und Rationalisierung auf Kosten der literarischen Vielfalt und somit letztendlich zu Ungunsten des Lesers auswirken wird. Vielfalt meint hier nicht die Flut an jährlichen Neuerscheinungen, sondern den ausgewogenen Mix verschiedener Literaturgattungen in einem Verlagsprogramm.
Zum Glück mehren sich die kritischen Stimmen in Deutschland, die eine derartige Umgestaltung der Verlagslandschaft ablehnen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Debatte um die Abschaffung der Buchpreisbindung seitens der Europäischen Union.
So ist der Essay Schiffrins weniger als Schwarzmalerei zu sehen, sondern vielmehr als Warnung. Denn Schiffrin weiß, wovon er schreibt, entstammt er doch einer bedeutenden Verlegerfamilie. Sein Vater leitete bis zur Flucht aus Frankreich 1940 den kleinen, aber erfolgreichen Verlag Le Pléade und gründete im amerikanischen Exil 1942, zusammen mit dem ebenfalls emigrierten deutschen Verleger Kurt Wolff, den Verlag Pantheon.
Pantheon entwickelte sich fortan zu einem, in der amerikanischen Verlagswelt zwar marginalen, aber erfolgreichen Verlag. Nach dem Tod des Vater übernahm Schiffrin die Geschäfte und führte Pantheon durch die Höhen und Tiefen der Verlagswelt. Nach der Übernahme durch den Großverlag Random-House verwischte mehr und mehr das Eigentliche des Verlagsprogramms, wirtschaftliche Kennziffern waren wichtiger geworden. Der Schwerpunkt lag mehr auf Quantität als auf Qualität und die zunehmende Monopolisierung von Verlagen nahm beängstigende Ausmaße an. Nicht zu verschweigen, die wirtschaftliche Verkettung von Verlagen und Großbuchhandlungen, zu deren pervertierter Form die Anbindung von Autoren an vorgeschriebene Buchhandelsketten während einer Lesereise gehörte.
Entgegen dieses Trends sieht Schiffrin eine Chance in der Gründung und wirtschaftlichen Stärkung von Kleinverlagen, die entgegen der Massenkultur, das Medium Buch als Kulturgut und nicht als Wirtschaftsfaktor begreifen.
Bei all dem Gerede in der Verlagswelt über mögliche Gewinnressourcen und Profiterwartungen bleibt dennoch die Frage, ob solch Optimierungswut auch im Interesse des Lesers stattfindet. Sicherlich schadet es der deutschen Buchbranche nicht, ihren jährlichen Titelausstoß zu reduzieren, doch sollte dieses eingesparte Potential zur Aufwertung des Buches als gesamtgesellschaftliches und auf jeden Fall bewahrenswertes Gut genutzt werden. Das Buch als Gesamtkunstwerk und in seinem einmaligen Charakter zu begreifen, ist die wahre Aufgabe eines Verlages. Wie farblos und monoton wäre die geistige Welt ohne den visuellen und haptischen Genuss, den nur das Medium Buch bieten kann.
Die mahnenden Worte Schiffrins unterstützend, wünscht sich Klaus Wagenbach in seinem Nachwort den Tag herbei, an welchem die Herren, Marke Handytyp, die Verlagswelt wieder verlassen und ihr geschäftliches Glück in einer anderen Branche suchen werden.
So gesehen wäre es wünschenswert, wenn die Kassandrarufe des Essays von André Schiffrin von der deutschen Verlagswelt und ihren Geldgebern erhört würden, um amerikanischen Verhältnissen keinen Raum zu geben. ©Torsten Seewitz, 18.11.2000

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