Als
Kind verbrachte Peter Debauer seine Ferien bei den Großeltern
in der Schweiz. Seine Mutter brachte ihn zum Zug und
wenn er Glück hatte, erreichte er ohne Umsteigen nach
sechsstündiger Fahrt den Zielbahnhof, wo ihn sein Großvater
empfing.
Die Abende verbrachte er mit ihnen zusammen am Tisch und
sah ihnen zu, wie sie lesend Manuskriptseiten mit
Korrekturen versahen. „Romane zur Freude und zur guten
Unterhaltung“ nannte sich die Heftchenreihe, die sie
betreuten und ihnen den Lebensunterhalt sicherte.
Peter durfte die Rückseite der Korrekturbögen als zum
Malen oder Schreiben nutzen, den vorderseitig
abgedruckten Text hingegen erlaubten sie ihm nicht zu
lesen. Doch eines Tages konnte Peter seine Neugier nicht
mehr verbergen.
Was er las, handelte von der Heimkehr eines Soldaten aus
dem Krieg. Zwar wurde in dem Text das unmenschliche
Antlitz des Krieges nicht beschönigt, doch enthielt er
nichts, was das Leseverbot gerechtfertigt hätte. Der
Soldat findet seine Heimatstadt
wieder, erreicht die Wohnung und trifft seine Frau mit
einem anderen Mann an der Seite an. Hier endet die
Geschichte, denn die anderen Korrekturbögen hatte Peter
schon früher beschrieben und dann weggeworfen,
denn sie waren nicht mehr auffindbar.
Jahre später fällt Debauer, mittlerweile Jurist, diese
Geschichte wieder ein und er möchte das Ende erfahren.
Er begibt er sich auf die Suche nach dem kleinen
Heftchen, doch niemand kann sich mehr an die „Romane
zur Freude“ erinnern. Mühsam beginnt er das einst
Gelesene zu erinnern und stellt seltsame Parallelen
fest, die ihn annehmen lassen, der Autor habe etwas
Authentisches beschrieben, das auch mit seinem Leben zu
tun haben könnte.
Spätestens an diesem Punkt hat der neue Roman Bernhard
Schlinks den Leser gefesselt. Doch was sich anfangs
ausnimmt wie eine gewöhnliche Detektivgeschichte,
entwickelt sich zu einer fesselnden, das 20. Jahrhundert
durchziehenden, Spurensuche, während dessen Verlauf.
Peter Debauer viel über sein eigenes Leben erfährt.
Aber vor allem entdeckt er die wahre Geschichte des
heimgekehrten Soldaten, die auch die Geschichte des
Autors ist, einem Mann der es immer wieder verstand, mit
verschiedenen Identitäten seine Spuren zu verwischen
und dessen Leben mehr mit Peter zu tun hat, als dieser
anfangs ahnt.
In seinem neuesten Werk hat Bernhard Schlink sich einem
nur scheinbar unaktuellem Motiv zugewandt, das der
Kriegsheimkehr deutscher Soldaten, welches spätestens
seit Ende der 1950er Jahre in der deutschsprachigen
Literatur als aufgearbeitet galt.
Überaus gekonnt greift er diese ersten literarischen
Aufarbeitungsversuche in seinem Roman auf. Doch
betrachtet er sie nicht nur mit einem Abstand von fünfzig
Jahren, sondern führt sie auch am Beispiel seiner
Geschichte in die Gegenwart fort.
Ähnlich der Irrfahrten des Odysseus gerät die Suche
Peter Debauers nach dem wahren Urheber des Textes immer
mehr zu einer Reise in das innere seines Ichs, an deren
Ende die Erkenntnis seiner wahren Herkunft und die
Heimkehr zu seiner geliebten Frau steht.
Schlinks Roman gehört unbestritten zu den
interessantesten und aufregendsten dieser Saison. Bleibt
nur, ihm möglichst viele Leser zu wünschen. Torsten
Seewitz, 28.02.2006 |