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Eric-Emmanuel Schmitt
"Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran"
Aus dem Französischen von Annette und Paul Bäcker
Ammann Verlag Zürich 2002
101 S.; 12,00 Euro

"Als ich elf war, habe ich mein Schwein geschlachtet und bin zu den Dirnen gegangen." So lakonisch lässt Eric-Emmanuel Schmitt seinen jungen Protagonisten die Erzählung beginnen. Zweihundert Francs kostete der Besuch bei den Huren und die hatte sich Moses mühsam vom Haushaltsgeld abgespart. 
Moses lebte allein mit seinem Vater, einem erfolglosen Rechtsanwalt, in der Rue Blue. Einfach nur Kind zu sein, dafür hatte der Junge keine Zeit, denn neben der Schularbeit war er für den gesamten Haushalt verantwortlich. Als sein Vater das Verschwinden von Geld bemerkte und seinen Sohn des Diebstahls bezichtigte, fasste dieser den Entschluss, die Vorwürfe in die Tat umzusetzen. 
Als sein Opfer hatte sich Moses den Kolonialwarenhändler Monsieur Ibrahim auserkoren. Alle nannten ihn nur den "Araber" und es war doch nicht so schlimm als Jude bei einem Araber zu stehlen. Doch Moses hatte sich geirrt, denn Monsieur Ibrahim hatte seinen Namen nur daher, weil er seinen Laden auch nachts und sonntags geöffnet hatte. 
Täglich stahl Moses einige Konserven, bis ihn Ibrahim daraufhin ansprach. Doch statt der befürchteten Strafe erhielt Moses fortan Tipps, wie er seinem Vater noch mehr Geld aus der Tasche ziehen konnte und viele weitere lebenspraktische Ratschläge.
Eines Tages wurde Moses von Monsieur Ibrahim gefragt, wieso er nie lächeln würde, woraufhin Moses verdutzt antwortete, dass Lächeln doch nur etwas für reiche und glückliche Menschen sei. Nicht belehrend, sondern vielmehr wohlwollend gab ihm Monsieur Ibrahim zu verstehen, dass es das Lächeln selbst sei, was die Menschen glücklich macht.
Fortan sah Moses die Welt mit anderen Augen.
Nahezu märchenhaft leicht, bewältigt Moses seine Probleme. Sogar das Verhältnis zu seinen Vater schien sich zu entspannen, bis dieser eines Tages verschwand. Er könne mit der Schuld, den Holocaust als einziger aus seiner Familie überlebt zu haben, nicht mehr leben, versuchte er seinen Sohn in einem Brief zu erklären. Moses sollte seinen Vater nicht mehr wiedersehen.
Die vorliegende Erzählung ist die erste Übersetzung eines Textes von Eric-Emmanuel Schmitt ins Deutsche und wie ich finde, ein Glücksgriff. Obgleich im Stil sehr einfach gehalten, steckt der Text voll tiefgehender Gedanken, die vor allem die Wurzeln religiösen Fanatismus' deutlich entlarven. Die Person des Monsieur Ibrahim verkörpert hierbei den selbstlosen Menschen, der frei von Vorurteilen und geistigen Grenzen es versteht, Menschen unterschiedlicher Couleur zu vereinen. Ein Lebensentwurf, der wäre er in die Praxis umzusetzen, das Leben in der Welt wesentlich konfliktärmer gestalten könnte. 
So gesehen und unter der Voraussetzung, dass der Leser ein wenig dieser Parabel verinnerlicht, hat Eric-Emmanuel Schmitt ein wichtiges Buch für unsere heutige Zeit geschrieben. ©Torsten Seewitz, 07.01.2003

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