"Als
ich elf war, habe ich mein Schwein geschlachtet und bin
zu den Dirnen gegangen." So lakonisch lässt
Eric-Emmanuel Schmitt seinen jungen Protagonisten die
Erzählung beginnen. Zweihundert Francs kostete der
Besuch bei den Huren und die hatte sich Moses mühsam
vom Haushaltsgeld abgespart.
Moses lebte allein mit seinem Vater, einem erfolglosen
Rechtsanwalt, in der Rue Blue. Einfach nur Kind zu sein,
dafür hatte der Junge keine Zeit, denn neben der
Schularbeit war er für den gesamten Haushalt
verantwortlich. Als sein Vater das Verschwinden von Geld
bemerkte und seinen Sohn des Diebstahls bezichtigte,
fasste dieser den Entschluss, die Vorwürfe in die Tat
umzusetzen.
Als sein Opfer hatte sich Moses den
Kolonialwarenhändler Monsieur Ibrahim auserkoren. Alle
nannten ihn nur den "Araber" und es war doch
nicht so schlimm als Jude bei einem Araber zu stehlen.
Doch Moses hatte sich geirrt, denn Monsieur Ibrahim
hatte seinen Namen nur daher, weil er seinen Laden auch
nachts und sonntags geöffnet hatte.
Täglich stahl Moses einige Konserven, bis ihn Ibrahim
daraufhin ansprach. Doch statt der befürchteten Strafe
erhielt Moses fortan Tipps, wie er seinem Vater noch
mehr Geld aus der Tasche ziehen konnte und viele weitere
lebenspraktische Ratschläge.
Eines Tages wurde Moses von Monsieur Ibrahim gefragt,
wieso er nie lächeln würde, woraufhin Moses verdutzt
antwortete, dass Lächeln doch nur etwas für reiche und
glückliche Menschen sei. Nicht belehrend, sondern
vielmehr wohlwollend gab ihm Monsieur Ibrahim zu
verstehen, dass es das Lächeln selbst sei, was die
Menschen glücklich macht.
Fortan sah Moses die Welt mit anderen Augen.
Nahezu märchenhaft leicht, bewältigt Moses seine
Probleme. Sogar das Verhältnis zu seinen Vater schien
sich zu entspannen, bis dieser eines Tages verschwand.
Er könne mit der Schuld, den Holocaust als einziger aus
seiner Familie überlebt zu haben, nicht mehr leben,
versuchte er seinen Sohn in einem Brief zu erklären.
Moses sollte seinen Vater nicht mehr wiedersehen.
Die vorliegende Erzählung ist die erste Übersetzung
eines Textes von Eric-Emmanuel Schmitt ins Deutsche und
wie ich finde, ein Glücksgriff. Obgleich im Stil sehr
einfach gehalten, steckt der Text voll tiefgehender
Gedanken, die vor allem die Wurzeln religiösen
Fanatismus' deutlich entlarven. Die Person des Monsieur
Ibrahim verkörpert hierbei den selbstlosen Menschen,
der frei von Vorurteilen und geistigen Grenzen es
versteht, Menschen unterschiedlicher Couleur zu
vereinen. Ein Lebensentwurf, der wäre er in die Praxis
umzusetzen, das Leben in der Welt wesentlich
konfliktärmer gestalten könnte.
So gesehen und unter der Voraussetzung, dass der Leser
ein wenig dieser Parabel verinnerlicht, hat
Eric-Emmanuel Schmitt ein wichtiges Buch für unsere
heutige Zeit geschrieben. ©Torsten Seewitz, 07.01.2003 |