Manch
Autobiographie darf sich ihres enormen Umfanges rühmen.
Aus unzähligen Seiten wird auch noch das Intimste in
der Hoffnung aufgeschrieben, dass es irgendjemanden auf
dieser Welt gibt, der sich dafür interessiert. Nicht
selten langweilen solche Pamphlete ungemein und
berühren zumeist peinlich.
Nicht so das jüngste Buch des großen Schriftstellers
und Dramaturgen George Tabori. Denn dessen
"Autodafé" betitelte Erinnerungen begeistern
von der ersten bis zur letzten Seite. Hier erzählt
jemand aus seinem Leben, welches durchaus bewegt war, in
einem lockeren, meist selbstironischen Plauderton, ohne
jemals geschwätzig zu werden. "Meine Erinnerung
gibt nicht allzu viele Geheimnisse her, sondern stammelt
und springt undeutlich hin und her.", bemerkt
Tabori an einer Stelle. Und vielleicht ist es dieses
Nichteinhalten einer strengen Chronologie, was den
zusätzlichen Reiz dieses Buches ausmacht.
Aufgewachsen in einem bürgerlichen Haushalt in Ungarn,
wurde Taboris Kindheit recht bald "ertickt",
wie er es nennt. Nicht durch den Krieg, wie man vermuten
könnte, sondern durch das Kindermädchen Alma von
Olmütz. Nymphoman veranlagte, verführte sie den
kleinen George und wurde sofort für diese Untat vor die
Tür gesetzt. Sie "...war für immer verschwunden,
meine erste Geliebte, Alma von O.", bemerkt Tabori
wehmütig im Alter von acht Jahren.
Ebenso prägend erscheinen die Erlebnisse mit seinem
sechs Jahre älteren Bruder Paul, der George nach seiner
Geburt sanft und stolz in seinen Armen halten durfte,
bis dieser ihm mit seinem Arm auf die Nase boxte.
Wutentbrannt verkündete Paul: "Ich schmeiße ihn
in die Donau" und mit dem Säugling zum Schrecken
seiner Eltern aus der Wohnung verschwand.
Paul, ein kleines Genie, der bereits mit zwölf Jahren
mehrere Gedichte veröffentlichte, nahm es mit der
Wahrheit, sehr zum Verdruss seines Vaters, nicht sehr
genau und verstrickte sich regelmäßig in die
phantastischsten Lügengeschichten. Eines Tages, Paul
war mittlerweile ein gefeierter Journalist, erschien im
"Pester Lloyd" ein Interview mit Thomas Mann,
welches er mit ihm geführt haben wollte. Er wurde
überall gefeiert, bis T. M. sich gegen dieses Interview
verwahrte, welches er nie gegeben hatte. Die Lüge flog
auf, und alles nur, weil Paul seinem Vater gefallen
wollte. "An dem Tag,..., hörte er auf zu lügen.
Er wurde ein anständiger Bürger...".
Liebevoll und anekdotenreich stellt Tabori seine Familie
vor. So bemerkt er lakonisch über seine Mutter, dass
sie sich wenig für literarische Erinnerungen eignet,
doch dass vielleicht gerade dieser Mangel an
Geheimnissen sie geheimnisvoll mache. Resümierend
verleiht er ihr den Titel eines "altmodischen
Muttertieres".
So könnte ich durchaus weiter zitieren, doch der Anreiz
zum Lesen soll ja erhalten bleiben. Taboris Erinnerungen
sind aus meiner Sicht ein kleines Juwel unter der
Vielzahl von autobiographisch gefärbter Büchern,
welches mit wenigen Worten den ganzen Kosmos eines
bewegten Lebens vor dem inneren Auge des Lesers öffnet.
© Torsten Seewitz, 04.12.2002 |