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Kressmann Taylor
"Adressat unbekannt"
Aus dem Amerikanischen von Dorothee Böhm
Hoffmann und Campe Hamburg 2000
69 Seiten, 10,00 €

Ein schmales Bändchen erreicht nach 62 Jahren nun endlich seine deutschen Leser, obgleich sein Inhalt sehr eng mit der verhängnisvollen Geschichte Deutschlands in den 30er und 40 Jahren des 20. Jahrhunderts verbunden ist.1938 verfasste die bis dato unbekannte amerikanische Autorin Kressmann Taylor diese Erzählung, die nach ihren Aussagen auf einem realen Briefwechsel basierte.
Im gleichen Jahr erstmals in der Zeitschrift Story veröffentlicht und 1939 bei Simon & Schuster in Buchform verlegt, wurde "Adressat unbekannt" von Journalisten und Lesern als "stärkste Anklage gegen den Nationalsozialismus" in Deutschland gelesen. Angesichts der weltweit zunehmenden Fremdenfeindlichkeit veröffentlichte Story Taylors Erzählung 1992 nochmals. Und wieder reagierten die Leser, wie bereits zur Zeit ihrer ersten Publikation, mit der gleichen Betroffenheit auf dieses Stück zeitlose Literatur.
In der Form eines Briefwechsels erzählt Kressmann Taylor die verhängnisvolle Geschichte der amerikanischen Galeristen Bruno Schulse und Max Eisenstein. Beide verbindet neben dem erfolgreichen Geschäft das Geheimnis einer leidenschaftlichen Affäre des verheirateten Brunos mit der Schwester Eisensteins, Griselle.
Nach Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit entschließt sich Schulse 1932 in seine Heimat Deutschland zurückzukehren. Auch Griselle ist nach Deutschland gereist, um hier eine Karriere als Schauspielerin zu beginnen.
Max bittet seinen Freund, auf seine Schwester Obacht zu geben, vor allem nach den beängstigenden Nachrichten aus Deutschland in Folge der Machtergreifung Hitlers.
Entgegen den Wahrnehmungen seines Freundes Max ist Schulse von Hitler angetan und begreift ihn als einen Mann wie "ein elektrischer Schock", der Deutschland aus der Krise führen kann.
Die Briefe an Max schreibt Schulse mittlerweile auf dem Geschäftspapier seiner Bank, um der strengen Postzensur zu entgehen und um Max letztendlich zu bitten, ihm nicht mehr zu antworten. Doch dieser will die langjährige Freundschaft nicht beendet sehen und hofft auf einen Gesinnungswandel Brunos.
Als Schulse jeden weiteren Kontakt mit ihm vehement ablehnt und in einer dramatischen Situation den Tod Griselles durch einen sie verfolgenden SA-Trupp verschuldet, greift Max zu einem letzten Mittel - er rächt den Tod seiner geliebten Schwester.
Fortan schreibt er offen Briefe an Schulse, die die deutschen Zensoren an eine geschäftliche Beziehung zwischen ihm und Eisenstein, einem Juden, glauben lassen. Obwohl Schulse in einem flehenden Brief um Vergebung bittet, schreibt Max weitere Briefe, bis ihm eines Tages ein retournierter Brief mit dem Vermerk "Adressat unbekannt" erreicht.
Kressmann Taylor gelingt mit minimalen erzählerischen Mitteln das Kunststück, den Leser Brief für Brief gefangen zunehmen und ihn in die fatalen Folgen der deutschen Geschichte zur Zeit des Faschismus begreifen zu lassen. Gerade die Form des Briefwechsels steigert die Illusion einer authentischen Geschichte und provoziert so beim Leser Betroffenheit und Parteinahme.
In einer Zeit, in der gerade in Deutschland Rechtsradikalismus und Antisemitismus im zunehmen begriffen sind, sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre in Schulen erhoben werden. Vielleicht könnte somit der mangelnden Sensibilität für historische Verantwortung, vor allem der jüngeren Generation, vorgebeugt werden. ©Torsten Seewitz, 30.10.2000

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