Dieses Buch ist ein Interview. Hope Chaftez, honorige
Malerin und Kunstlegende, lebt zurückgezogen in den Wäldern
von Vermont. Ihr Landhaus, eine Zufluchtsstätte, hatte
ihr dritter bereits verstorbener Mann Jerry erworben,
als Scholle, als Gegenpol zur New Yorker Hektik und
Terminsucht. Für Hope hat dieses kleine Haus zudem noch
andere und tiefere Bedeutungen. Hier ist der Fundort
ihrer Kunst, der Ort ihrer Entfaltung - eine Entfaltung,
die ihr nur durch eine Befreiung von der Geschichte möglich
war, eine Befreiung von ihrem bisherigen Leben und ihren
zwei Ex-Männern. Und gerade diese Geschichte
interessiert die junge Kunsthistorikerin Kathryn. Sie
sucht sie auf, stellt Fragen, viele Fragen, die die
betagte Dame erinnern lassen. Erinnerungen, die Hope wie
einen Stapel alter Bücher eingelagert hatte.
Geschichte, die nun aus dem Keller hervorgeholt, staubig
zwar, wieder lebendig wird. Hopes Geschichte ist
Kunstgeschichte und diese beginnt an der Seite von Zack.
Updike läßt in diesem Roman die Wahrheit wie Farbrinnsäle
über eine große breite Fläche der Fiktion laufen.
Feingliedrige Äderchen des Tatsächlichen, die
nebeneinander, übereinander ihre Wege suchen um sich
schlussendlich in der Phantasie zu verlieren:
Zack,
Hopes erster Mann zeigt deutlich die Züge des
vielleicht wichtigsten Künstlers Amerikas - Jackson
Pollock. Genau wie Pollock durch seinen Abstrakten
Expressionismus und das Action Painting weitreichenden
Einfluss auf nachfolgende Kunstentwicklungen nahm,
gelang es auch Updikes Figur Zack mit völlig
gegenstandslosen getröpfelten, gespritzten und
gegossenen Farbverläufen auf großen Leinwänden die
Kunst zu revolutionieren.
Die Kunsthistorikerin erfährt, dass Hopes Ehe mit Zack
nicht glücklich war. Immer wieder zog sich das
streitbare Genie in die Pubs zurück, bis er gänzlich
dem Alkohol verfiel und bei einem Autounfall starb.
Hopes neuer Mann, Guy Holloway, ist nicht so einfach
realen Personen zuzuordnen, vielmehr ist er eine Melange
aus Andy Warhol, Jasper Johns, Claes Oldenburg und
anderen Vertretern der Pop-Art. Guy gründete eine
Kunstfabrik, die auch für andere Künstler, seine Anhänger
meist, ein Experimentierraum darstellte. Er schuf dort
unter anderem Vinylskulpturen, Filme, Gemälde und
veranstaltete Happenings. Nach der Trennung von Guy
heiratete sie den Kaufmann und Sammler Jerry Chaftez.
Diese Beziehung brachte Hope die Freude wieder und die
Zuversicht zur eigenen Kunst.
Erinnerungen sind oft Stückwerk, Patchwork, so auch
Hopes Rückblenden. Geschickt gelingt es Kathryn, sie
zum Reden zu bringen, Interna zu verraten oder Intimes
preiszugeben. Viele der Geschehnisse sind höchst
interessant, verraten sie doch einiges über das fast
wahre Innenleben der New Yorker-Kunstszene in dieser
Zeit und decken manches vermeintlich Verborgene auf. Es
handelt sich hier um intensive punktuelle Einblicke,
teilweise mit Humor gewürzt, trotzdem ernsthaft und
immer einfühlend jenseits des derben Tratsches erzählt.
Updikes filigrane und kunstvolle Beschreibungen tragen
den Leser allerdings nur mit Mühe über die flauen
Nebensächlichkeiten zwischen den Geschichten hinweg.
Warum die Figur Hope der Kunsthistorikerin ständig
Erdnussbutter-Toasts anbietet, bleibt ein nerviges Rätsel
im Füllmaterial. Das eigentliche Thema ist hingegen das
Interview, das Gesagte und das Ungesagte, das in einem
Spannungsfeld unterschiedlicher Auslegungen und vor
allem Erfahrungen, was Frau sein, Selbstverwirklichung
und Kunst bedeuten, stattfindet.
„Sucht mein Angesicht“ ist ein Buch, an dem vor
allem Kunstinteressierte, Gesprächstechniker,
Sprachfetischisten und Updike-Fans ihre Freude haben
werden.
Thorsten Ukena, 12.03.2006
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