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John Updike
"Sucht mein Angesicht"
Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson
Rowohlt Verlag Reinbek 2005
315 S.; 19,90 Euro

Dieses Buch ist ein Interview. Hope Chaftez, honorige Malerin und Kunstlegende, lebt zurückgezogen in den Wäldern von Vermont. Ihr Landhaus, eine Zufluchtsstätte, hatte ihr dritter bereits verstorbener Mann Jerry erworben, als Scholle, als Gegenpol zur New Yorker Hektik und Terminsucht. Für Hope hat dieses kleine Haus zudem noch andere und tiefere Bedeutungen. Hier ist der Fundort ihrer Kunst, der Ort ihrer Entfaltung - eine Entfaltung, die ihr nur durch eine Befreiung von der Geschichte möglich war, eine Befreiung von ihrem bisherigen Leben und ihren zwei Ex-Männern. Und gerade diese Geschichte interessiert die junge Kunsthistorikerin Kathryn. Sie sucht sie auf, stellt Fragen, viele Fragen, die die betagte Dame erinnern lassen. Erinnerungen, die Hope wie einen Stapel alter Bücher eingelagert hatte. Geschichte, die nun aus dem Keller hervorgeholt, staubig zwar, wieder lebendig wird. Hopes Geschichte ist Kunstgeschichte und diese beginnt an der Seite von Zack. Updike läßt in diesem Roman die Wahrheit wie Farbrinnsäle über eine große breite Fläche der Fiktion laufen. Feingliedrige Äderchen des Tatsächlichen, die nebeneinander, übereinander ihre Wege suchen um sich schlussendlich in der Phantasie zu verlieren:
Zack, Hopes erster Mann zeigt deutlich die Züge des vielleicht wichtigsten Künstlers Amerikas - Jackson Pollock. Genau wie Pollock durch seinen Abstrakten Expressionismus und das Action Painting weitreichenden Einfluss auf nachfolgende Kunstentwicklungen nahm, gelang es auch Updikes Figur Zack mit völlig gegenstandslosen getröpfelten, gespritzten und gegossenen Farbverläufen auf großen Leinwänden die Kunst zu revolutionieren.
Die Kunsthistorikerin erfährt, dass Hopes Ehe mit Zack nicht glücklich war. Immer wieder zog sich das streitbare Genie in die Pubs zurück, bis er gänzlich dem Alkohol verfiel und bei einem Autounfall starb. Hopes neuer Mann, Guy Holloway, ist nicht so einfach realen Personen zuzuordnen, vielmehr ist er eine Melange aus Andy Warhol, Jasper Johns, Claes Oldenburg und anderen Vertretern der Pop-Art. Guy gründete eine Kunstfabrik, die auch für andere Künstler, seine Anhänger meist, ein Experimentierraum darstellte. Er schuf dort unter anderem Vinylskulpturen, Filme, Gemälde und veranstaltete Happenings. Nach der Trennung von Guy heiratete sie den Kaufmann und Sammler Jerry Chaftez. Diese Beziehung brachte Hope die Freude wieder und die Zuversicht zur eigenen Kunst.
Erinnerungen sind oft Stückwerk, Patchwork, so auch Hopes Rückblenden. Geschickt gelingt es Kathryn, sie zum Reden zu bringen, Interna zu verraten oder Intimes preiszugeben. Viele der Geschehnisse sind höchst interessant, verraten sie doch einiges über das fast wahre Innenleben der New Yorker-Kunstszene in dieser Zeit und decken manches vermeintlich Verborgene auf. Es handelt sich hier um intensive punktuelle Einblicke, teilweise mit Humor gewürzt, trotzdem ernsthaft und immer einfühlend jenseits des derben Tratsches erzählt. Updikes filigrane und kunstvolle Beschreibungen tragen den Leser allerdings nur mit Mühe über die flauen Nebensächlichkeiten zwischen den Geschichten hinweg. Warum die Figur Hope der Kunsthistorikerin ständig Erdnussbutter-Toasts anbietet, bleibt ein nerviges Rätsel im Füllmaterial. Das eigentliche Thema ist hingegen das Interview, das Gesagte und das Ungesagte, das in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Auslegungen und vor allem Erfahrungen, was Frau sein, Selbstverwirklichung und Kunst bedeuten, stattfindet.
„Sucht mein Angesicht“ ist ein Buch, an dem vor allem Kunstinteressierte, Gesprächstechniker, Sprachfetischisten und Updike-Fans ihre Freude haben werden.
Thorsten Ukena, 12.03.2006

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