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Christa Wolf/Charlotte Wolff
„Ja, unsere Kreise berühren sich“
Luchterhand Verlag München 2004
160 S.; Euro 15,00

Besondere Anlässe um Leben eines Schriftstellers, wie runde Geburtstage oder Preisverleihungen sind für viele Verlage ein guter Anlaß, um bislang im Verborgenen liegende literarische Schätze zu bergen und diese öffentlich zugänglich zu machen.
Im März diesen Jahres nun wird eine der, wenn nicht sogar die bedeutendste deutsche Schriftstellerin 75 Jahre alt - Christa Wolf. Ihr Hausverlag, der Luchterhand Literaturverlag in München, nutzt diese Gelegenheit, um gleich zwei neue Bücher herauszugeben. Zum einen ist dies der Briefwechsel zwischen Christa Wolf und der Philosophin und Ärztin in Charlotte Wolff (1897-1986), zum anderen würdigt der Verlag seine Autorin mit einer materialreichen Bildbiographie.
Zwar stand Christa Wolf schon immer im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und war häufig genug Gegenstand literaturwissenschaftlicher Betrachtungen, doch noch nie zuvor hat sie derart viele Einblicke in ihr Privatleben zugelassen, wie in den vergangenen zwölf Monaten. Im Zusammenspiel mit dem im Herbst veröffentlichten Tagebuchband „Ein Tag im Jahr“ ergibt sich nunmehr das faszinierende Bild einer politisch engagierten Schriftstellerin, die nicht nur erfolgreiche Bücher schreibt, sondern, oder vor allem auch Mutter und Ehefrau ist.
So betrachtet, zeigt der anregende Briefwechsel mit Charlotte Wolff eine weitere Nuance im Leben der Christa Wolf. Auf beeindruckende Weise begegnen dem Leser zwei Intellektuelle, deren Lebensmittelpunkt vor allem das Schreiben darstellt. So handeln viele der Briefe von abgeschlossenen oder fortdauernden Projekten; Charlotte Wolff schreibt an ihrer großen Biographie über den Sexualforscher Magnus Hirschfeld, von Christa Wolf erscheint „Kassandra“.
Kennen gelernt haben sich die beiden Frauen auf Initiative Christa Wolfs, denn bei der Lektüre der Autobiographie ihrer Namensvetterin „Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit“ stieß sie im Zusammenhang mit dem Günderode - Buch „Kein Ort. Nirgends“ auf ihren Namen. Obgleich sie sich nie persönlich begegnen sollten, entwickelt sich im Laufe von drei Jahren ein inniger Austausch von Gedanken, der vor allem von großer Empathie gekennzeichnet war.
Es sind vor allem die unterschiedlichen Lebensläufe, die diesen Briefwechsel interessant machen. Charlotte Wolff, 1933 aus Deutschland geflohen, lebte zuerst in Frankreich und fand später ihren Lebensmittelpunkt in Großbritannien. Ihre deutsche Vergangenheit hatte sie weitestgehend verdrängt und erst durch die Lektüre von Christa Wolfs Büchern fand sie zur deutschen Sprache zurück. Ihre Liebe zu Frauen machte das Leben im Exil nicht gerade einfacher, doch ging sie in die Offensive und beschäftigte sich wissenschaftlich mit dem Phänomen der gleichgeschlechtlichten Liebe.
Hier berühren sich die Kreise, von denen im Titel des Bandes die Rede ist, denn so unterschiedlich die Leben beider Schriftstellerinnen verlaufen, berühren sie sich bei der literarischen Auseinandersetzung mit Personen der Zeitgeschichte, die ihrer Zeit voraus waren. Aber nicht nur dieser Umstand trägt dazu bei, dass sich innerhalb kürzester Zeit eine große Vertrautheit entwickelte, sondern die Ältere sah in der jüngeren Briefpartnerin eine Art Wesensverwandte, angefangen von der Namensgleichheit bis hin zu ähnlich formulierten Gedanken. Leider endet dieser rege Briefwechsel mit dem Tod Charlotte Wolffs im Jahr 1986.
Auf eindringliche Weise rekapituliert Christa Wolf neun Jahre später, anlässlich der Namensverleihungsfeier des Charlotte-Wolff-Kollegs am 05.06.1997, noch einmal das Leben ihrer Briefpartnerin. Diese Rede ist dem vorliegenden Band beigefügt und man spürt beim Lesen förmlich die große Bewunderung und Achtung Christa Wolfs vor der Lebensleistung der Charlotte Wolff. ©Torsten Seewitz, 18.03.2004

Lektüretipp:

"Christa Wolf. Ein Biographie in Bildern und Dokumenten" Hrsg. Peter Böthig. Luchterhand Literaturverlag 2004. 224 Seiten, 35,00 Euro.

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