Jakob Arjouni
"Idioten. Fünf Märchen"
Diogenes Verlag München 2003
153 S.; 14,90 Euro

Für Max konnte es so nicht weitergehen. Wenn er Ronni, seinem Partner in der Werbefirma, nicht endlich die Meinung sagte, würde die ganze Firma bald vor der Pleite stehen. Aber wie beginnen, wenn man nicht den Mut hat, jemanden die Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, denn gleich würde Ronni das Restaurant betreten, denn sie hatten sich zum Essen verabredet.
Ronni benahm sich in letzter Zeit wirklich unmöglich. Erst gestern hatte er Nina den Urlaub gestrichen und beinahe einen großen Auftrag durch dummes Gerede in den Sand gesetzt. „Das Problem mit Idioten ist es“, denkt Max, „dass sie zu idiotisch sind, um ihre Idiotie einzusehen.“ Und Ronni bildete da keine Ausnahme.
Doch wenn die Not am größten ist, erscheint, wie im Märchen, eine gute Fee und erfüllt einem Wünsche.
So geschieht es auch in Jakob Arjounis neuem Buch „Idioten“, denn Max hat das unbeschreibliche Glück, dass eben jenes märchenhaftes Wesen erscheint und ihn nach seinem sehnlichtsten Wunsch befragt. Zugegeben, die Fee in Arjounis Märchen ist etwas moderner und ihr Chef vom Sternschnuppendienst hat sie erst kürzlich in den Kreis der Feen befördert, aber die anfänglichen Unsicherheiten würden sich bald legen. Zwar kann man sich heute in Zeiten des Sparens nicht mehr alles wünschen, denn die Gebiete Unsterblichkeit, Gesundheit, Geld und Liebe sind ausgeschlossen, doch bleiben ja genug Wünsche übrig. Und von diesen Wünschen erzählt Arjouni in seinen fünf modernen Feen - Märchen, deren Protagonisten am Rande einer existentiellen Krise stehen. Sei es nun der Schriftsteller, der bislang erfolgreiche Groschenromane schrieb und endlich einen richtigen Roman zu Papier bringen möchte oder die linksalternative Mutter, die für ihren Sohn nur das Beste wollte und ihn mit ihrem Übermaß an Fürsorge förmlich die Luft zum Atmen nahm, alle Geschichten haben eins gemeinsam - sie zeigen, dass alles im Leben seine zwei Seiten hat. So betrachtet, ist auch das Ergebnis der Wunscherfüllung nicht vorhersehbar.
Genau diese Unvorhersehbarkeit ist es dann auch, die Arjounis Märchen einen besonderen Reiz verleiht. Zwar handelt es sich bei den in seinem aktuellen Buch versammelten Texten keinesfalls um Einschlafgeschichten, die man bedenkenlos den lieben Kleinen vorlesen kann, jedoch bieten sie gute Unterhaltung für die Generation der Eltern, die mit einem Lächeln auf den Lippen einschlafen werden.
Man sollte nicht den Fehler machen, Arjounis moderne Feen - Märchen mit allzu großem Ernst zu lesen, denn sonst könnten die wunderbar ironischen Zwischentöne überhört und der gewisse präzise Blick für menschliche Schwächen und Eigenarten übersehen werden. Kurzum, Arjounis „Idioten“ unterhalten den Leser köstlich und ohne zu langweilen. Torsten Seewitz, 04.07.2003 

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