Stefan Beuse
„Meeres Stille“
Piper Verlag München 2003
184 S.; 17,90 Euro
Dieser Urlaub im Süden Frankreichs sollte für die Familie
Callner zu einer Zeit der Ruhe und Entspannung werden, bevor der hektische
Alltag wieder seinen Tribut forderte. Viktor Callner war kurz zuvor zum
Feuilletonchef seiner Zeitung berufen worden. Niemand aus der Familie wusste von
dieser Beförderung; erst im Flugzeug erfuhr seine Frau Helen davon. Stolz
darauf, diese Neuigkeit so lange geheim gehalten zu haben, freute sich Callner
um so mehr auf die gemeinsame Zeit mit Frau und Kindern in einem entlegenen
Ferienhaus im Périgord. Doch so recht wollte sich bei keinem ein Glücksgefühl
einstellen. Es hatte den Anschein, als beschlich alle Mitglieder der Familie
eine gewisse Ahnung dessen, was sie erwarten würde.
Nach seinem mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Roman „Kometen“ und dem
von der Kritik beachteten „Die Nacht der Könige“ liegt nun mit „Meeres
Stille“ Steffen Beuses neuestes Buch vor.
Gleich zu Beginn seines neuen Romans läßt der Autor den Leser diese Vorahnung
mit den Protagonisten teilen, denn neben der Geschichte der Callners kommt eine
weitere Stimme in einer Art Tagebuch zu Wort. Anfänglich wirken diese Passagen,
im Buch kursiv gedruckt, wie eine separate Geschichte, die von traumatischen
Kindheitserinnerungen eines jungen Mannes erzählt, begonnen von den
Erinnerungen an den tragischen Unfalltod der Mutter bis hin zum hingebungsvollen
Klavierspiel zu Gefallen des Vaters, der auf den Tod seiner Frau mit schweren
Depressionen reagierte.
Stefan Beuse gelingt das Kunststück, beide Erzählebenen allmählich auf
einander zuzuführen, so dass eine Geschichte die andere durchdringt und beide
letztendlich zusammenfinden.
Beuse erzählt seinen Roman vollkommen unaufgeregt. Er nimmt sich Zeit für
seine Figuren und deren Gedankenwelt, vor allem für die der Kinder Frances und
David, die als einzig nicht Eingeweihte versuchen, die verborgene Geschichte
ihrer Eltern in Erfahrung zu bringen.
Nicht zuletzt wird deren Neugier durch das Auftauchen eines jungen Mannes beflügelt,
der sich der Familie als hilfsbereiter Nachbar vorstellte.
Es ist faszinierend zu verfolgen, mit welchem dramaturgischem Feingespür Stefan
Beuse seine Protagonisten durch die Handlung und zu einem unausweichlichen
Finale führt. Der Autor spielt souverän mit den Elementen des Psychokrimis und
inszeniert seine Handlung spannungsreich und nahezu filmgerecht.
Dennoch kann „Meeres Stille“ auch als psychologische Studie einer Familie
gelesen werden, deren Geschichte zwanzig Jahre zuvor eine verhängnisvolle
Wendung nahm.
Stefan Beuse hat mit seinem Roman bewiesen, dass es um spannender
anspruchsvoller Unterhaltung wegen, nicht zwingend unzähliger Toter und eines
ermittelnden Kommissars bedarf.
Insofern gehört „Meeres Stille“, auch auf Grund seiner Originalität
unbedingt in die Reihe der beachtenswerten Neuerscheinungen des diesjährigen Bücherherbstes!
Torsten Seewitz, 01.12.2003