Ketil Bjørnstad
„Villa Europa“
Aus dem Schwedischen von Ina Kronenberger
Insel Verlag Frankfurt/M. 2004
536 S.; 24,90 Euro

„I wanted all of it, not some of it“ – mit diesem Lou Reed-Zitat beginnt der Norweger Bjørnstad seinen beeindruckenden, 100 Jahre umfassenden Familienroman. Dem Reed-Motto folgend, verlassen zahlreiche Mitglieder der Familie Ulven nacheinander ihr zu Hause, die Villa Europa in Oslo, um zwar zuerst durch ganz Europa zu ziehen, dann aber stets in die Villa zurückzukehren. Im Ansatz erinnert dieses Familienepos an Thomas Manns „Buddenbrooks“. Doch während die buddenbrooksche Familie erst im Laufe der Zeit von einer starken Einheit in kleine, heterogene Bruchstücke zerfiel, ist die Familie Ulven von Beginn an zerrissen. Während bei Mann die männlichen Familienmitglieder im Zentrum stehen, sind es bei Bjørnstad die Frauen, denen er sich besonders ergreifend widmet. Denn sie sind es, die generationsübergreifend am meisten zu leiden haben und schnell lernen, dass sie sich auf niemanden – auch ihre Männer nicht – verlassen können. Sie gewinnen so die notwendige Kraft, um den Kampf des Einzelnen innerhalb der zerbrochenen Familienstruktur erfolgreich aufzunehmen. Anders als bei den Buddenbrooks, bei denen der Zerfall durch die zunehmende Schwäche der männlichen Nachfolger vorangetrieben wurde, sind es in der kunstvoll erzählten „Villa Europa“ folglich die starken Frauen, die die zerfallene Familie wieder zusammenführen könnten. Text: Aliki Nassoufis

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