Robert Bober
"Berg und Beck"
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Antje Kunstmann 2000
200 S., 16,00 Euro


Wie soll man bestehen in einer Welt, in der die  Gegenwart das Vergangene nicht vergessen macht und Fragen nach dem Warum keine Antwort finden? Wenn das Trauma des Holocaust jedes Wort vor Ohnmacht ersterben läßt? Nur mühsam drängen schmerzliche Erinnerungen an  eine grausame Zeit in das Bewußtsein.
Robert Bober nimmt in seinem aktuellen Roman "Berg und Beck", erschienen im Verlag Antje Kunstmann, die Last dieser Erinnerungsarbeit auf sich. Episodenhaft verbindet er die schicksalhaften Biographien von Menschen, denen ihre jüdische Herkunft in den Zeiten der faschistische Besatzung Frankreichs zum Verhängnis wurde. Allen gemein ist der Verlust eines geliebten Menschen, der Eltern oder eines Freundes.
Joseph Berg, Protagonist dieses Romans, arbeitet als Erzieher im jüdischen Waisenheim von Andrésy. Die Eltern der Kinder sind Opfer des Holocaust. Täglich wird er mit den traumatischen Erlebnissen der Kinder und der individuellen Aufarbeitung des Verlustes konfrontiert.
 Behutsam erzählt Bober diese verstörenden Geschichten, die sprachlos machen und irritieren. Ein Buch über die Freundschaft und den Tod, aber auch über die Hoffnung auf einen Neuanfang nach all dem Schrecken der Vergangenheit. Indem er Geschichte personifiziert, läßt er den Einzelnen aus der Masse der anonymen Opfer heraustreten.
In Erinnerung bleibt vor allem die Geschichte von Nathan, der bei seinem Onkel lebte und in dessen Schuhgeschäft arbeitete. Regelmäßig gestaltete er das Schaufenster des Ladens, bis er eines Tages, zum Entsetzen seines Onkels, statt der üblichen Dekoration einen Berg Schuhe auftürmte. Herrenschuhe, Damenschuhe und Kinderschuhe in einem scheinbaren Chaos, gleich dem, welches er auf Fotos aus Auschwitz gesehen hatte. "Erinnere dich deines Lebens", hatte ihm sein Onkel einst gesagt. Nichts anderes hatte er getan. Trauer um den Verlust der geliebten Eltern, die deportiert wurden und niemals zurückgekehrt sind.
Auch Joseph Berg hat den Verlust seines Schulfreundes Henri Beck noch nicht überwunden, der 1942 während der Juden-Verfolgung in Paris mit seinen Eltern verschleppt wurde. Er schreibt Briefe an den Toten. Briefe, die den Adressaten nie erreichen und nur einen einzigen Zweck verfolgen, die Erinnerung an den Freund zu bewahren. "Ja, ich werde dir weiter schreiben, da du anscheinend nur lebendig bist, weil ich noch lebe." Die Toten leben in der Erinnerung der Überlebenden.
"Berg und Beck" ist dennoch kein Roman der Resignation. Er schildert vielmehr eine Jugend der Nachkriegszeit auf der Suche nach dem Stück Normalität im Alltag. Geradezu schwärmerisch läßt Bober seine Hauptfigur Berg von dessen Leidenschaften für Jazzmusik ,die Tour de France oder die Filme der Marx Brothers erzählen. In diesen Passagen gewinnt das Buch die Stärke, die den Leser bei aller Betroffenheit nicht hoffnungslos in die Realität entläßt.© Torsten Seewitz, 27.06.2000

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