Henning
Boëtius
"Tod in Weimar"
Mit Illustrationen von
Johannes Grützke
btb München 2003
120 S.; 8,00 Euro
Der
Legenden um Goethes Tod gibt es viele, doch unbestritten
ist, dass sein letzter Besucher der junge Siegmund von
Arnim war, Sohn der ehemaligen Goethe-Muse Bettina von
Arnim. Was wollte der schöne Jüngling von Goethe, der
seit Jahren keinen Kontakt mehr zu dessen Mutter
unterhielt? War es wirklich das Ansinnen, im Rahmen
seiner Bildungsreise von Paris nach Rom einen
Zwischenhalt in Weimar einzulegen, um den größten
Meister deutscher Dichtkunst kennen zu lernen? Sehr
schlüssig klingen die Erklärungen des jungen von Arnim
nicht, doch Goethe ist wie verzaubert von seinem Gast.
Er lädt ihn regelmäßig über mehrere Tage zum Essen
ein, eine seltene Ehre, und unternimmt mir ihm
stundenlange Kutschfahrten in eisiger Kälte. Es
scheint, als würde der greise Dichter noch einmal
aufblühen. So weit die historischen Fakten.
Hennig
Boëtius hat sich nun aufgemacht, Licht in das Dunkel
der damaligen Ereignisse zu bringen und so ist die
zauberhafte Novelle "Tod in Weimar"
entstanden. Der Autor scheut sich nicht, tief in die
intimsten Gedanken und Bereiche Goethes vorzudringen,
der, und dies ist mittlerweile bekannt, eine Vorliebe
für Knaben hatte.
Selbstironisch lässt er den alten Genius über die
eigene Vergänglichkeit reflektieren. Boëtius scheut
nicht davor, den Menschen hinter dem Kunstwerk Goethe zu
zeigen, der sich im Angesicht des jungen von Arnim
besonders des Verlustes der eigenen Libido bewusst
wird.
Goethe ist hin- und hergerissen von dem jungen Mann, der
zurückhaltend seinen Ausführungen über die
Naturwissenschaften bei Tisch und in der Kutsche
lauscht.
Dennoch bleibt für Goethe ein Rätsel, was den von
Arnim zu ihm führte. Zwar wusste, dass dessen Vater,
der Dichter Achim von Arnim verstorben war und seine
Mutter am Rande des finanziellen Ruins stand, doch
verschlossen sich ihm die wahren Beweggründe.
Für Hening Boëtius steht fest, dass der greise Dichter
noch einmal in eine Amour fou geraten war. Wie sonst ist
es zu erklären, dass noch einmal jemand mit dem Namen
von Arnim sein Haus betreten durfte, nachdem Bettina von
Arnim nach einem Streit mit Goethes Ehefrau Christiane
Hausverbot erteilt worden war. Es ist bekannt, dass
Bettina von Arnim im Alter von neunzehn Jahren, den wie
einen Abgott verehrten Dichter beinahe unermüdlich
bedrängte und einen angeregten Briefwechsel mit ihm
führte. Kurz nach Goethes Tod veröffentlichte sie
diesen unter dem Titel "Goethes Briefwechsel mit
einem Kinde" und wurde so zu einer anerkannten und
berühmten Schriftstellerin. Doch zuvor mußte Goethe
sein Einverständnis gegeben haben, ihr ihre Briefe
wieder auszuhändigen. Hat ihn die Zuneigung zu Siegmund
von Arnim dazu bewegt, oder ist dieser sogar von seiner
Muter angehalten worden, den Alten in Weimar zu
verführen, um ihn so zur Herausgabe der Briefe zu
bewegen?
Alles Spekulation, doch Boëtius konstruiert eine
hinreißende, ja berührende Geschichte um diese
Mutmaßungen und historisch verbürgten Fakten. Als
äußerst gelungen erweisen sich die Illustrationen von
Johannes Grützke, der er meisterhaft verstanden hat,
gerade die pikanten Passagen des Buches abzubilden.
Eines der gelungensten und mutigsten Goethe-Bücher seit
langem! ©Torsten Seewitz, 04.06.2003