Alain de Botton
"Kunst des Reisens"
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2002
288 S., 19,90 Euro


Worin liegt das Glück des Reisens, diese Sehnsucht nach der Ferne, der Welt des Unbekannten und Exotischen? Und was empfinden wir, wenn das Ziel unseres Verlangens endlich erreicht ist? 
Manchmal sind die Antworten erschreckend profan und das Glück des Reisens sehr fragil, wie der Schweizer Schriftsteller und Philosoph Alain de Botton in seinen Betrachtungen über die Kunst des Reisens feststellt. De Bottons Überlegungen beruhen einerseits auf eigenem Erleben und folgen andererseits den Spuren berühmter Autoren, Maler und Wissenschaftler.
Die Überlegungen de Bottos sind chronologisch gegliedert, beginnend mit dem Kapitel "Abreise", in welchem er über die unterschiedlichen Erwartungen zum Beispiel eines Paares während einer Reise an die traumhaften Strände der Insel Barbados nachdenkt und zu der Erkenntnis gelangt, dass selbst ein herrlicher Strand oder ein wundervolles
Hotel keine Garanten dafür sind, dass wir glücklich und zufrieden sind. Es reicht eine kleine Unstimmigkeit zwischen Partnern, etwa Missgunst oder das Gefühl, unverstanden zu sein, das Idyll zu zerstören. De Botton schreibt: " Den gigantischen Vorhaben, die wir ins Werk setzen, dem Bau von Hotels und dem Ausbaggern von Meeresbuchten, stehen grundlegende psychologische Probleme gegenüber, die sie unterminieren können. Wie schnell doch die Fortschritte der Zivilisation von einem Wutanfall zunichte gemacht werden können.". Wie wahr!, möchte man ausrufen, doch wer von uns Lesern hat das Reisen schon einmal unter diesem Aspekt betrachtet?
Mit ähnlicher gedanklicher Brillanz folgt de Botton Gustave Flaubert im Kapitel "Über das Exotische" nach Ägypten, der in Begleitung seines Freundes Maxime du Camp das Typische dieser Kultur erkunden wollte. Flaubert, ein bekennender Verächter seiner französischen Heimat, sucht in der Fremdheit Ägyptens genau jene Charakteristika, die er zuhause vermisste. "In der ägyptischen Kultur fand und begrüßte Flaubert die Bereitschaft zur Anerkennung der dualen Gegensätze des Lebens: Scheiße - Geist, Leben - Tod, Reinheit - Sexualität, Wahnsinn - Vernunft.", stellt de Botton lakonisch fest. Flaubert betrachtete sich nicht als französischer Staatsbürger, sondern vielmehr als "Bruder all dessen, was lebt". Der Gedanke, in einem festgelegten Teil der Erde leben zu müssen, war ihm ein Graus. 
So wie de Botton den Spuren des großen Schriftstellers Flauberts folgt, nimmt er sich in seinen Betrachtungen auch des Lebens von Naturwissenschaftlern oder Malern und ihrer Beziehungen zum Reisen und der Fremde an. So begleitet er Alexander von Humboldt nach Südamerika oder van Gogh in die Provence. 
Allen gemeinsam ist die Sehnsucht nach der Fremde, die Wissbegierde, etwas über fremde Kulturen zu erfahren oder einfach die Schönheit des Augenblicks in einer fernen Landschaft zu genießen. 
De Bottons Schilderungen beweisen sich als überaus geistreiche und genaue Beobachtungen über das Wesen und die Kunst des Reisens. Dem Buch beigefügt sind zahlreiche Reproduktionen, die das Beschriebene illustrieren und zum Träumen von fernen Welten verleiten. Mit "Kunst des Reisens" hat de Botton einen Reise(ver)führer der etwas anderen Art geschrieben, der den Leser mit seiner meisterhaften Kombination von Betrachtungen aus Kunst und Literatur in ferne Welten entführt ohne dabei die vertraute Heimat verlassen zu müssen. ©Torsten Seewitz, 28.05.2002

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