H. M. van den Brink
"Über das Wasser"
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
Carl Hanser Verlag
160 Seiten, 14,90 Euro


Zwei Menschen gleiten in vollkommener Harmonie in einem Ruderboot auf einem Fluss dahin. Ihre Körper bewegen sich synchron im Takt. Geschmeidig zerschneiden ihre Ruder die glatte Wasseroberfläche, kleine Strudel hinterlassend. Ein Bild vollendeten Glücks?
Der niederländische Autor H. M. van den Brink versucht in seiner Novelle "Über das Wasser" genau diese Frage zu ergründen. "Glück? Darüber spricht man nicht. Ein Wort zuviel, und es ist lächerlich. Zwei Worte, und es ist verschwunden, fort. [...] Glück existiert nur, wenn man es berühren kann.".
Ist es nicht so, dass wir uns am ehesten glücklicher Momente erinnern, wenn der innere Schmerz am größten ist?
Anton, der Erzähler dieser Novelle, begibt sich 1944 zurück an den Ort seines größten Glücks, zurück an den Fluss, der über Monate hinweg Mittelpunkt seines Lebens war. Hier befand sich vor dem Krieg der Ruderklub der Stadt. Hier trainierte er zwei Sommer lang zusammen mit seinem Freund David, unter Anleitung des Deutschen Alfons Schneiderhahn, für die Olympischen Spiele in Helsinki 1939.
Nun, fünf Jahre später, liegt das Gelände brach, die Gebäude drohen zu verfallen oder wurden abgerissen, und die zahlreichen Ruderboote lagern auf Dachböden und in Kellern. Die Olympischen Spiele haben wegen des nahenden Krieges nie stattgefunden. Auch David ist nicht mehr in der Stadt. Er ist spurlos verschwunden, nur an die Erinnerungen an die gemeinsame, glückliche Zeit sind geblieben.
Van den Brink gelingt in dieser Novelle das Kunststück, mit wenigen Worten die Größe wahrer Freundschaft und die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen für den Leser erlebbar zu gestalten, ohne jemals pathetisch zu werden. Beinahe zärtlich zeichnet er das fein nuancierte Bild einer Freundschaft zweier junger Männer, die erst durch den Sport, über soziale Grenzen hinweg, zusammengefunden haben.
Indem Anton die Stätten gemeinsam erlebten Glücks aufsucht, hält er die Erinnerung an diese glückliche Zeit mit David, wider die schmerzliche Erkenntnis des Verlustes, fest in seinem Gedächtnis. Halt gibt ihm allein die Beständigkeit es Flusses, den alle Wirren der Zeit nichts anhaben konnten.
Das Elternhaus Davids steht leer und verlassen im Park, alles Leben ist verschwunden.
"Niemand kann mir erzählen, dass man Glück nicht anfassen kann, dass es ein Glück ohne Körper gibt." ©Torsten Seewitz, 04.09.2000

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