Thomas Brussig
"Heimsuchung. Schauspiel für fünf Personen"

Verlag Volk und Welt München 2000
79 Seiten, 11,20 Euro


Unternahm der Berliner Autor Thomas Brussig in "Helden wie wir" und "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" (erfolgreich von Leander Hausmann verfilmt) den Versuch, der deutschen demokratischen Vergangenheit mit satirischen Mitteln zu begegnen, verschwindet in seinem Schauspiel "Heimsuchung" der bislang humorvolle Unterton seiner Romane. Fast scheint es, als ließen die Probleme der Gegenwart keinen Raum für nostalgische Rückbesinnung. Vom ersten Freudenrausch anläßlich der Vereinigung beider deutschen Staaten ist eine Katerstimmung zurückgeblieben.
Die alther
gebrachten gesellschaftlichen Muster haben keine Geltung mehr. Sogar die Kirche verliert ihren sicheren Platz in der Gesellschaft und versucht ihre schwindende Populariät mit weniger christlichen Mitteln zurückzugewinnen.
So vertritt Pfarrer Eberti in Brussigs Schauspiel die Meinung, dass zugunsten der Gerechtigkeit auch einmal das Gesetz überschritten werden darf und unterstreicht diese Position mit einem riesigen Clint-Eastwood-Poster in seiner Kirche. Ein Revolverheld soll leere Kirchen füllen? Paradox! Doch nehmen drei ehemalige DDR-Rockmusiker diese Botschaft allzu wörtlich. Nach einer Schießerei auf der Flucht, suchen sie Schutz in der kleinen hessischen katholischen Kirche. Einer von ihnen, Schulle, ist schwerverletzt und bedarf dringend ärztlicher Hilfe. So mit den realen Auswüchsen der Gesellschaft konfrontiert, beginnt der Pfarrer zu schwanken und versteckt sich hinter Relativierungen, er habe dies alles nicht so gemeint. Die herbeigeholte Ärztin leistet widerwillig Hilfe, da ihr ehemalige Bürger aus dem Osten Deutschlands suspekt sind.
Brussig läßt in "Heimsuchung" zwei Welten aufeinanderprallen. Auf der einen Seite der etablierte Westdeutsche, dem der Osten egal war und ist und auf der anderen Seite den vom DDR-Regime verfolgten Ostdeutschen, der seine Vergangenheit nicht einfach so abstreifen kann und der Gegenwart ohnmächtig gegenüber steht.
Was auf den ersten Blick wie pure Schwarzweißmalerei wirkt, spitzt Brussig im Laufe dieser kammerspielartigen Szenerie dramatisch zu. Sicherlich bedient er einige Klischees, doch nur um die gegenwärtige Sprachlosigkeit zu verdeutlichen. Die Worthülsen der Medien und Politiker haben wenig zum Annähern von Ost und West beigetragen. Was zählt, ist das gegenseitige Begreifen und Akzeptieren der individuellen Biographie. Es sind die leisen, differenzierenden Töne, die helfen Barrieren abzubauen. Doch versöhnen sich die Protagonisten in Brussigs Schauspiel nicht, alles endet in einem Tribunal.
Bleibt abzuwarten, ob ein Theaterregisseur es wagt, dieses Stück in Szene zu setzen und wie vor allem das Publikum bereit ist, es anzun
ehmen. ©Torsten Seewitz, 25.01.2001

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