Jessica Durlacher
"Die Tochter"

Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Diogenes Zürich 2001
326 Seiten, 19,90 Euro

Als Max Lipschitz mit seinen Verwandten das Anne - Frank - Haus in Amsterdam betrat, ahnte er noch nicht, welch verhängnisvolle Geschichte an diesem Tag beginnen sollte.
Nur aus dem Augenwinkel nahm er eine junge Frau wahr, die ihn die ganze Zeit beobachtet, mit einem Blick, der ihm missfiel und „zugleich auf widerliche Weise beruhigte". Als sie ihn, sich zögerlich vortastend, ansprach, war er zunächst abgeschreckt von ihrer Offenheit. Wie sich herausstellte, hatte ihre Familie, ähnlich der von Max, zur Zeit der deutschen Besatzung der Niederlande tragische Schicksalsschläge ob ihres jüdischen Glaubens ertragen müssen.
Zwischen Max und der jungen Frau Sabine Edelstein entspinnt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Doch schreckt Max häufig vor ihrer manischen Besessenheit zurück, 
unbedingt ihrer beide Familiegeschichte, die gemeinsame KZ-Vergangenheit ihrer Eltern, zu ergründen.
Ohne irgendeine Andeutung und Erklärung verschwindet Sabine jedoch von einem auf den nächsten Tag. Tief gekränkt, versucht Max sie auszuspüren. Erst fünfzehn Jahre später treffen sie sich auf der Frankfurter Buchmesse wieder; Max als Verleger und Sabine als erfolgreiche Fotografin in Begleitung eines berühmten jüdischen Filmregisseurs.
Und die bereits verdrängt geglaubten Emotionen treten wieder zutage und mit ihnen auch die alten Fragen nach dem Warum von Sabines plötzlichen Verschwinden. Erst allmählich begreift Max, nachdem er sie in ihrer amerikanischen Wahlheimat besuchte, ihre tragisch Lebensgeschichte, die er so niemals erwartet hätte.
Jessica Durlacher hat mit ihrem zweiten, und in den Niederlanden überaus erfolgreichen, Roman ein Thema aufgegriffen, welches in der aktuellen Literatur ständig zugegen ist, die Schrecken des Holocaust. Sie betrachtet die Geschichte jedoch nicht aus der Sicht der Opfer, sondern mit dem Blick der nachfolgenden Generation, die unbefangener mit diesem Thema umgehen und die Auseinandersetzung damit mehr als Last denn als Verpflichtung empfinden. 
„Die Tochter" ist eine ungemein fesselnder, in einer wunderbar fließenden, süchtig machenden Sprache geschriebener Roman, der ein wenig Wehmut aufkommen lässt, weshalb nicht auch deutsche Autoren so schreiben können. 
©Torsten Seewitz, 29.01.2002

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