Karen
Duve
"Dies ist kein Liebeslied"
280 S.; 19,90 Euro
Eichborn Berlin 2002
Es
scheint sie doch zu geben, die junge unterhaltende
deutsche Literatur, die fernab des pädagogischen
Zeigefingers oder irgendwelcher Sprachexperimente,
einfach eine Geschichte erzählt. Die Jahre der Euphorie
sind vorüber, Ernüchterung über manch ein
"Fräuleinwunder" oder potentiellen
Grass-Nachfolger ist eingekehrt. Von manch einem dieser
Jungautoren hätte man sich gewünscht, er möge nach
seinem Debüt für immer schweigen.
Nicht so jedoch bei Karen Duve, die nach ihrem von der
Kritik euphorisch aufgenommenen Erstling
"Regenroman", im Herbst 2002 ein neues Buch im
Eichborn Verlag verlegen lies. Nun sollte sich zeigen,
ob die Vorschußlorbeeren gerechtfertigt waren.
"Dies ist kein Liebeslied" erzählt vom
verzweifelten Schrei nach Liebe einer jungen Frau, die,
da sie von der Männerwelt nahezu konsequent abgelehnt
wird, im Essen ihre Erfüllung sieht. Pfund um Pfund
nimmt sie über die Jahre hinweg zu und sie bemerkt
nicht, dass diese Völlerei ihre Sympathie nicht
unbedingt steigert.
Fremd im eigenen Körper, macht sie sich am Beginn des
Romans auf den Weg nach London, um ihre große Liebe aus
Jugendtagen wiederzutreffen. Während des Fluges
erinnert sie zahlreiche Episoden aus der Zeit, als sie
noch klein und der Männerwelt unschuldig gegenüber
stand.
Da ist beispielsweise die Episode mit ihrem Freund Axel,
genannt Tellerauge, mit dem sie zusammen im Garten ein
Froschhospital betrieb, in welchem beide die durch
Nachbars Rasenmäher verstümmelten Frösche mit
Tesafilm notdürftig wieder zusammenflickten. Doch die
Freundschaft mit Axel endete jäh, als dieser, im
Überschwang seiner Gefühle begann, jeden, der sich ihm
näherte, pausenlos zu drücken und festzuhalten. Nicht
einmal vor der Mutter, der Ich-Erzählerin machte er
halt.
Axel ist nicht der einzige komische Vogel, der Karen
Duves Roman bevölkert. Den Menschen, denen die junge
Protagonistin auf ihrem Lebensweg begegnet, können
selten von sich sagen, zu den Gewinnern der Gesellschaft
zu gehören. Dies mag wie ein allzu düsteres
Abbild unserer Zeit erscheinen, ist es jedoch
mitnichten, denn die Autorin versteht es vortrefflich,
die feinen Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen
aufzuspüren und für den Leser nachvollziehbar
literarisch zu gestalten.
Der Leser begleitet die junge Ich-Erzählerin auf ihrem
mit vielen Stolpersteinen gepflasterten Weg durchs
Leben, immer auf der Suche nach einem Partner, der ihre
Liebe annimmt. Es gibt Passagen in diesem Buch, da
möchte man in die Handlung einsteigen und die
Protagonistin an die Hand nehmen, um ihr den richtigen
Weg zu zeigen. Von Diät zu Diät hastend, verliert sie
zunehmend das Gespür für ihren Körper. Selbst der
Besuch einer Selbsthilfegruppe und die damit verbundene
Hoffnung auf psychologischen Beistand, endet in einem
Desaster.
Vielleicht wird letzten Endes, wenn sie erst einmal in
London ist, doch noch alles gut? Diese Hoffnung
begleitet den Leser durch die gesamten Handlung und er
wird sie nicht aufgeben, bis er die letzte Seite gelesen
hat.
"Dies ist kein Liebeslied" ist aufgrund der
ihm innewohnenden Komik ein ungemein unterhaltsamer
Roman, der Stärken und Schwächen unserer vom Fitness-
und Abnehmwahn befallenden Gesellschaft gekonnt den
Spiegel vorhält. So gesehen, kann man nur auf den
nächsten Roman Karen Duves gespannt sein. Torsten
Seewitz, 14.01.2003
www.fragmentum.de