Gwen
Edelman
"Erzähl mir vom Krieg"
Aus dem Amerikanischen von Carina von Enzenberg
Piper Verlag München 2002
180 S., 16,90 Euro
In
einer New Yorker Buchhandlung sah sie Joseph zu ersten Mal,
nicht ahnend, welche leidenschaftliche Beziehung sie in den
nächsten Monaten miteinander verbinden wird. Es war ein
düsterer altmodisch eingerichteter Laden, in dem Kitty saß
und einem Buch las, bis sie Joseph unvermittelt ansprach, um
sich nach ihre Lektüre zu erkundigen. Nur kurze Zeit später
sitzen sie in einem kleinem Café, tauschen Freundlichkeiten
aus, nähern sich vorsichtig ihren Biographien an, wobei Kitty
von dem wesentlich älteren Joseph so fasziniert ist, dass sie
jede Scheu verliert und konkrete Fragen nach Josephs
Vergangenheit stellt. Dabei erfährt sie, dass er eigentlich
in Wien geboren wurde, aber seine Eltern ihn 1938 nach
Amsterdam schickten, weil sie ihn dort vor den Nazis in
Sicherheit wähnten. Nur wenig später werden auch die
Niederlande besetzt und Josephs jüdische Pflegefamilie
deportiert. Nur er konnte sich verstecken und entkam so dem
sicheren Tod. Ein Trauma, welches Jahrzehnte auf ihm lasten
wird.
Jahre später, sitzt Kitty in einem Zug Richtung Amsterdam, um
zu Josephs Beisetzung zu fahren. Sie hatten sich zuvor lange
Zeit nicht mehr gesehen und als sie sein Bild eines Morgens in
der Zeitung erblickte, dachte sie, er hätte wieder einen
Preis bekommen, doch Joseph Kruger, der erfolgreiche
österreichisch-jüdische Schriftsteller, war gestorben. Die
am Zugfenster vorbeiziehende Landschaft betrachtend, erinnert
sie sich an die gemeinsame leidenschaftliche Zeit, die sie
zumeist in Josephs dunklem unaufgeräumten Hotelzimmer in New
York verbrachten. Anfänglich zögernd und abwehrend erinnert
er sich seiner Biographie. Einmal stellt er resigniert fest:
"Für uns gab es keinen Platz, [...], es gab keinen Ort
auf dieser Welt, der uns haben wollte.", ein Schicksal
wie es symbolisch für das von Millionen verfolgter Juden
stehen könnte.
Die amerikanische Autorin Gwen Edelman hat mit ihrem
Debütroman "Erzähl mir vom Krieg" ein äußerst
beeindruckendes und vor allem wegen seiner ungewöhnlichen
Kompostion einmaliges Buch geschrieben, mit welchem sie den
Versuch unternimmt, die Schrecken des Holocaust und dessen
Folgen für die Überlebenden in Worte zu fassen.
Sie verbindet eine leidenschaftliche, tabulose
Liebesgeschichte mit der tragischen Lebensgeschichte Josephs,
wobei sie nicht konsequent einen Erzählstrang verfolgt,
sondern äußerst kunstvoll zwei Zeitebenen verknüpft. Die
Erinnerungen Josephs wechseln mit Reflektionen Kittys ab,
manchmal nur durch ein Satzzeichen getrennt. Was sich beim
Lesen anfänglich als schwierig erweist, entwickelt zunehmend
eine besonderen Reiz, beständig tiefer in die Geschichte
Josephs einzudringen. Sie entfaltet vor dem inneren Auge des
Lesers ein Mosaik biographischer Fragmente, die in ihrer
Gesamtheit das Trauma von Verfolgung und Vertreibung verstehen
lassen.
Joseph hat zwar die Erfahrungen seiner Vergangenheit in
zumeist surrealistischen Erzählungen und Theaterstücken
verarbeitet, doch die seelische Erschütterungen aus seiner
Kindheit konnte er bis zu seinem Tod nicht verwinden.
©Torsten Seewitz, 19.04.2002