Vincent Engel
"Weinbergers Schweigen"

Aus dem Französischen von Anja Nattefort
Ullstein 2001
285 Seiten, € 19,90 


Wie soll man das eigentlich Unsagbare des Holocaust in Worte fassen. Worte, die verstummen müssten bei all dem Schmerz und Leid und dieser unendlichen Trauer. In unzähligen Romanen versuchen Opfer ihre Geschichte oder die ihrer Verwandten zu erzählen, um vielleicht wenigstens etwas dieses Irrsinns zu begreifen. Auch Vincent Engel wagt in seinem Roman "Weinbergers Schweigen" den Versuch, dem Unfassbaren eine Sprache zu geben, doch mit einem Unterschied, er spart die Zeit der Konzentrationslager und der Vernichtung aus. Engel erzählt die Geschichte des Juden Adam Weinberger in einem "Davor" und einem "Danach". Die Zeit Dazwischen, die Jahre der Vernichtung eines Volkes, bleibt ausgespart und existiert in der Erinnerung Weinbergers, einer Erinnerung, die Schmerz und Trauer um den Verlust der Familie zum Schweigen gebracht haben.
Es war eine glückliche Zeit, die Adam vor dem Krieg in seiner polnischen Heimat erlebte. Gegen die jüdischen Traditionen rebellierend, entdeckt er als Heranwachsender die magische Kraft der Liebe und er lernt Menschen kennen, die für sein späteres Leben bedeutend sein werden. Vor allem sein Onkel Elisha, der von der Gemeinde als Kommunist verstoßen wurde, und seine Cousine Esther finden seine ungeteilte Zuneigung. Ihnen fühlt er sich verbunden, fernab der traditionsreichen Welt der Eltern. Vor allem Esther hat es ihm angetan, er himmelt sie an, verliebt sich unsterblich. Eine unglückliche Liebe, die Adam seine Leben lang verfolgen wird.
Nach Ende des Krieges lässt sich Adam, mittlerweile ein gebrochener Mann, in Paris nieder. Die Jahre in den Lagern haben ihn verstummen lassen. Mit niemandem spricht er über seine Erlebnisse und den Schmerz über den Verlust seiner Familie. In seiner Tätigkeit als Arzt versucht er menschliches Leid zu lindern, muss aber immer häufiger begreifen, dass die Ideologie der Nazis auch Jahre nach dem Krieg weiterwirkt. 
Selbst seine Ehefrau Deborah, die Ähnlichkeit mit der geliebten Deborah hatte, vermag Weinbergers Schweigen nicht zu lösen. Dieser vergräbt sich immer tiefer in seine, der Wirklichkeit abgewandte, Welt.
Mit "Weinbergers Schweigen" ist Vincent Engel ein beeindruckender Roman gelungen, dessen Protagonist selbst nach der Lektüre in der Erinnerung weiterlebt. Der Schrecken des Holocaust wirkt vor allem durch das Nichtgesagte, das Schweigen, durch das Fehlende zwischen dem "Davor" und dem "Danach". ©Torsten Seewitz, 28.12.2001

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