Anna Enquist
„Letzte Reise“
Aus dem Schwedischen von Hanni Ehlers
Luchterhand Literaturverlag 2006
403 S., 21,95 €

Was mag die niederländische Konzertpianistin und praktizierende Psychotherapeutin Anna Enquist wohl dazu veranlasst haben, über zehn Jahre lang alle bereits bekannten Daten, Fakten und Veröffentlichungen über James Cook, den legendären Entdeckungsreisenden, zusammenzutragen und daraus schließlich einen Roman zu machen? War es die Faszination von seiner  Forschungsbesessenheit, die 1779 mit seiner rätselhaften Ermordung auf Hawaii endete? War es die Ausnahme-Karriere eines Mannes, der es vom Bauernsohn bis zum Admiral der englischen Flotte und damit in die gesellschaftliche Elite des Landes geschafft hat? Oder war es vielleicht ihr Wissen darum, dass hinter großen Männern zumeist eine starke Frau steht, über die man in  den Geschichtsbüchern kaum etwas erfährt?

Cooks Frau Elizabeth ist die Protagonistin des Romans. Die Autorin entfaltet entlang der bekannten, äußerst informativen und spannenden Fakten über James Cook das fiktionale Lebensgefühl und Rollenverständnis einer Frau, die vor über 200 Jahren gelebt und ihren Mann um sechsundfünfzig Jahre überlebt hat. Dichtung und Wahrheit eng verwoben – gewöhnungsbedürftig und doch faszinierend. Ja, so könnte es gewesen sein: Elizabeth unterstützt ihren Mann bei der Veröffentlichung seiner Entdeckungs- und Forschungsberichte und hofft vergeblich darauf, dass er - wie versprochen – endlich in seinen verdienten Ruhestand tritt, um bei ihr und den Kindern zu bleiben.  Gleichzeitig fürchtet sie die damit verbundenen Einschränkungen ihrer Selbständigkeit. Denn trotz seiner jahrelangen Abwesenheiten (in denen sie allein ihre sechs Kinder zur Welt bringen, erziehen und schließlich beerdigen muss) bleibt er auch an Land der Kapitän bzw. „Herr des Hauses“. Für ihn steht es außer Frage, dass alle Jungen ihr Leben in den Dienst der gefährlichen, lebensbedrohlichen Seefahrt stellen müssen, unabhängig von ihren Neigungen und Begabungen. Nach dem Tod ihrer einzigen, dreijährigen Tochter zerbricht Elizabeth fast an ihrer Enttäuschung darüber, kein zweites Mädchen, sondern wieder nur einen Sohn geboren zu haben. Die einfühlsame Schilderung ihrer Verzweiflung und Lebensmüdigkeit, die sie erst nach Jahren überwindet, gehört für mich zu den stärksten Passagen des Romans. Die Autorin musste selbst mit dem Unfalltod ihrer Tochter fertig werden.  Erika Pillardy, 25. Februar 2007

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